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64 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Einsatz und Erfindungsreichtum, die es<br />

dafür aufwendet, ‚über seine Verhältnisse‘<br />

zu leben […]“ (1982: 503).<br />

Dieser sehr abwertend klingenden Beschreibung<br />

der Mittelklasse muss in dieser<br />

harten Form nicht zugestimmt werden.<br />

Ebenso lässt sich über Bourdieus Einteilung<br />

der Kunstformen in trivial und nicht<br />

trivial sicherlich debattieren. Eine Bewertung<br />

soll jedenfalls an dieser Stelle nicht<br />

stattfinden, sondern zunächst ausschließlich<br />

das Argument dargestellt werden. In<br />

jedem Fall ist die Mittelklasse diejenige<br />

Bevölkerungsschicht, die am stärksten an<br />

einer Abgrenzung über Geschmack und<br />

Interesse an kulturellen Themen interessiert<br />

ist. Denn durch ihren Status als Mitglieder<br />

der herrschenden Klasse haben<br />

diese ohnehin Mittel und Wege, ihre Individualität<br />

deutlich zu machen. Die classe<br />

populaire hingegen beurteilt die Dinge<br />

danach, „was man praktisch mit ihnen<br />

anfangen kann“ (Abels 2006: 220), nimmt<br />

also ihre Abgrenzung vermutlich über andere,<br />

funktionalere Mittel vor.<br />

Leider gibt es über die Zugehörigkeit der<br />

Rekonstruktionsbefürworter zu einer oder<br />

gar allen Gruppen der Bourdieuschen Mittelklasse<br />

nur wenige gesicherte empirische<br />

Erkenntnisse, weshalb hier nur Vermutungen<br />

geäußert werden können.<br />

Der hessische Landeskonservator Christoph<br />

Mohr (s. auch Kap. 6) stellt jedoch<br />

heraus, dass sich mittlerweile viele junge<br />

Gutverdienende, die z. B. im Managementbereich<br />

tätig sind, mit einer gewissen<br />

Anspruchshaltung („wir wollen jetzt aber<br />

eine schöne Altstadt“) für Rekonstruktionen<br />

einsetzen; eine Klientel, die man<br />

nach Bourdieus Argumentation – verallgemeinernd<br />

– als eine Bevölkerungsgruppe<br />

beschreiben könnte, die zwar über einen<br />

hohen formalen Bildungsgrad verfügt,<br />

der man aber pauschal wenig tiefer gehendes<br />

Interesse an Kunst und Kultur bzw.<br />

den dahinter liegenden Werten und Entstehungsprozessen<br />

attestiert und die in<br />

gewisser Weise der Gruppe der „aufstrebenden<br />

Kleinbürger“ zugeordnet werden<br />

kann. Ihr Engagement lässt sich als räumlicher<br />

Ausdruck ihres einerseits individualisierten<br />

und um Abgrenzung bemühten<br />

Schönheitsempfindens interpretieren. Unterstützt<br />

werden sie in ihren Bemühungen<br />

möglicherweise von einem Teil der – sich<br />

selbst als avantgardistisch und die Argumente<br />

der Rekonstruktionsgegner als elitär<br />

erlebenden – neuen Autodidakten sowie<br />

einigen alten Autodidakten, die sich<br />

auf die architektonischen Stile besinnen,<br />

deren Formensprache sie als schön und<br />

wertvoll erlernt haben und auch als solche<br />

empfinden. Im Rückgriff auf Altbewährtes<br />

können sie sich (stil-)sicher fühlen und<br />

müssen sich nicht auf das „dünne Eis“ der<br />

Gegenwartsarchitektur begeben.<br />

Eine aktuellere und detaillierte Variante<br />

der Bourdieuschen Klassen sind die Sozialen<br />

Milieus, in abgewandelter Form auch<br />

als Marketing-Instrument unter dem Namen<br />

Sinus-Milieus bekannt. In ihnen<br />

werden Menschen, die in ähnlichen Lebenswelten<br />

leben, in insgesamt zehn (Sinus-Milieus:<br />

elf) Gruppen eingeteilt. Die<br />

Charakterisierungen dieser Gruppen stellen<br />

die unterschiedlichen Alltagswirklichkeiten<br />

und damit ihre Sinnkonstitutionen<br />

differenziert dar. (Die zehn Milieus sind:<br />

Etabliertes Milieu, traditionelles bürgerliches<br />

Milieu, traditionelles Arbeitermilieu,<br />

traditionsloses Arbeitermilieu, aufstiegsorientiertes<br />

Milieu, modernes Arbeitermilieu,<br />

modernes bürgerliches Milieu, intellektuelles<br />

Milieu, hedonistisches Milieu,<br />

postmodernes Milieu. Zur genauen Charakterisierung<br />

vgl. z. B. SIGMA (2000).)<br />

Auf den ersten Blick scheinen besonders<br />

das etablierte Milieu, das aufstiegsorientierte<br />

Milieu sowie das moderne<br />

bürgerliche Milieu Rekonstruktionen<br />

möglicherweise zugeneigt zu sein. Das<br />

etablierte Milieu wird als eher konservativ-traditionell<br />

und überdurchschnittlich<br />

gebildet charakterisiert und nimmt aktiv<br />

am kulturellen und gesellschaftlichen Leben<br />

teil. Das aufstiegsorientierte Milieu ist<br />

das in Deutschland zahlenmäßig stärkste.<br />

Das Erreichen eines hohen Lebensstandards<br />

und der Konsum von Luxusgütern<br />

werden in diesem Milieu als Zeichen von<br />

Erfolg bewertet. Das moderne bürgerliche<br />

Milieu hingegen besteht zu einem großen<br />

Teil aus jungen Familieneltern, die viel<br />

Wert auf Harmonie, Innerlichkeitswerte<br />

und soziale Beziehungen legen und ein<br />

starkes Sicherheitsdenken an den Tag legen<br />

(vgl. SIGMA 2000: 18 – 25).<br />

Ein empirischer Zusammenhang zur Befürwortung<br />

von Rekonstruktionen konnte<br />

zwar noch nicht zweifelsfrei nachgewie­

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