PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
33<br />
geschaut wird und eben nicht zurück (vgl.<br />
Misik 2008). Interessanterweise war also<br />
die Grundstimmung der 1950er Jahre, die<br />
als eines der Nostalgie weckenden Kitschjahrzehnte<br />
schlechthin angeführt werden<br />
(vgl. Liessmann 2002), eine sehr zukunftsgerichtete,<br />
fortschrittsgläubige. Heute<br />
werden Gebrauchsgegenstände aus dieser<br />
Zeit von Nostalgikern gesammelt, die sich<br />
damit in eine überschaubarere, weniger<br />
schnelllebige Zeit der klaren Wertvorstellungen<br />
zurück versetzen.<br />
Dementsprechend sieht Fischer (1980: 177–<br />
180) auch eine deutliche Schnittmenge von<br />
Kitsch- und Nostalgieobjekten. Die nostalgisch<br />
motivierte „Bedeutungsverschiebung<br />
im ästhetischen Wertsystem“ (von<br />
Criegern/Kattenstroth 1975, zit. n. Fischer<br />
1980: 177) mache Kitsch „endgültig salonfähig“<br />
(Fischer 1980: 177) und die Unterschiede<br />
zwischen Kitsch und Kunst würden<br />
durch Ironisierung aufgehoben. Als<br />
weitere Gemeinsamkeiten der beiden Gattungen<br />
betont er die Entkoppelung von ästhetischem<br />
und Gebrauchswert von Objekten,<br />
die Ermöglichung von emotionaler<br />
Flucht aus der bedrohlichen Gegenwart<br />
sowie die grundlegende ökonomische Voraussetzung<br />
des massenhaften Konsums,<br />
die gegeben sein müsse, damit der Nostalgie-Kitsch<br />
überhaupt eine weit reichende<br />
gesellschaftliche Wirkung entfalten könne.<br />
Die zweite, wichtigere Bedingung dafür<br />
sei jedoch das Vorhandensein „reale[r]<br />
Bedürfnisse auf der Rezipientenseite“ (Fischer<br />
1980: 177), die mithilfe dieser Objekte<br />
ihrem Wunsch nach dem Ausleben und<br />
der Offenlegung von Gefühlen Ausdruck<br />
verleiht. Konkret äußert sich die Nostalgiewelle<br />
z. B. in der Form, dass Gebrauchsgegenstände<br />
nicht mehr wie industriell<br />
gefertigt aussehen, sondern wieder einen<br />
eigenen „Charakter“ haben bzw. eine Geschichte<br />
erzählen sollen – oder zumindest<br />
den Anschein erwecken, als ob sie dies<br />
könnten.<br />
Auch in Bezug auf Architektur und die gebaute<br />
Umwelt besteht dieses Bedürfnis<br />
nach Geschichte, das sich in einem gesteigerten<br />
Interesse an Denkmalschutz und<br />
historischen bzw. historisierenden Gebäuden<br />
ausdrückt. Auch hier hat ein Bedeutungswandel,<br />
eine Um- bzw. Neubewertung<br />
von Stilen bzw. Stilelementen<br />
stattgefunden. Die Bauten der klassischen<br />
Moderne werden heute vielfach als kühl,<br />
abweisend, gar als „optische Umweltzerstörung“<br />
(Fischer 1980: 140) angesehen.<br />
Diese Neubewertung führt – wie in anderen<br />
Bereichen der Kunst und bei Gegenständen<br />
des täglichen Lebens – zu einer<br />
Reornamentalisierung (also auch hier eine<br />
Entkoppelung von Form und Funktion)<br />
und dem Bedürfnis nach einer Aufladung<br />
mit zusätzlichen Bedeutungen (vgl. Fischer<br />
1980: 140–144, 156–159). Gelfert (2000: 94–<br />
105) nennt Beispiele aus der Architektur<br />
für beide oben eingeführten Kitschformen:<br />
Das Schwarzwaldhaus oder die Friesenkate<br />
für Gemütlichkeitskitsch, Monumentalbauten<br />
für Erhabenheitskitsch.<br />
Fischer (1980: 144–155) bezieht neben aufgewerteten<br />
Altbauten auch alte – natürlich<br />
dem heutigen Komfort angepasste – Bauernhäuser,<br />
eklektizistisch zitierende zeitgenössische<br />
Wohngebäude (z. B. in Eigenheim-<br />
und Ferienhaussiedlungen) und die<br />
so genannte Pop-Architektur mit ein, deren<br />
Erzeugnisse auf unterschiedliche Art<br />
und Weise ein Bedürfnis nach Individualität<br />
und Emotionalität und Tradition bedienen,<br />
das aus Sicht vieler Rezipienten den<br />
funktionalen Bauten des Nachkriegswiederaufbaus<br />
fehlt. In diesem Zusammenhang<br />
ist den Nutzern durchaus bewusst,<br />
dass die Welt auch zur Erbauungszeit der<br />
alten Gebäude alles andere als heil war,<br />
durch den zeitlichen Abstand erscheinen<br />
die damaligen Probleme aber weniger bedrohlich<br />
und die ursprünglichen Intentionen<br />
der Bauherren und Architekten werden<br />
weniger deutlich erkannt – je weniger<br />
sie ernst genommen werden, umso „schöner“<br />
empfinden sie das Gebäude (vgl. Fischer<br />
1980: 141–142).<br />
Je nach Baustil können rekonstruierte Gebäude<br />
also wohl auch unter eine dieser<br />
Formen von Architektur-Kitsch fallen – zumal<br />
unter Einbezug der eingangs dargelegten<br />
Prämisse, dass Kitschkunstwerke<br />
und -gegenstände erstens etwas darstellen<br />
möchten, das sie eigentlich nicht sind,<br />
und zweitens Erprobtes aus vergangenen<br />
Zeiten in die Gegenwart holen und damit<br />
nicht für „künstlerischen Fortschritt“ sorgen.<br />
Auch werden sie nicht deshalb wiederaufgebaut,<br />
weil eine zukünftige Nutzung<br />
nur mithilfe eines bestimmten architektonischen<br />
Stils oder einer bestimmten<br />
Form möglich wäre – manchmal erfolgt<br />
eine Entscheidung über die Nutzung sogar