PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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80 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
In welchem Maße diese These nun zutrifft<br />
oder nicht, ist bislang leider nur sehr eingeschränkt<br />
empirisch überprüft worden.<br />
Da das langfristige, „alte Ehrenamt“ jedenfalls<br />
nicht vollends verschwunden ist<br />
und weiterhin neben dem „neuen“ existiert<br />
– schließlich engagiert sich immer<br />
noch eine beträchtliche Anzahl von Menschen<br />
z. B. gegen Rechtsextremismus – differenzieren<br />
sich Engagementformen. Fest<br />
steht weiterhin, dass sich die individuellen<br />
Motive der Bürger für ihr Engagement in<br />
allen Bereichen in den letzten beiden Jahrzehnten<br />
gewandelt haben. Dabei ist eine<br />
deutliche Verschiebung von dem Bedürfnis,<br />
einen Dienst für das Gemeinwohl zu<br />
leisten, hin zur Betonung von Selbstverwirklichung<br />
und -entfaltung festzustellen,<br />
wobei bei allen altruistisch-gemeinsinnige<br />
neben egoistisch-nutzenorientierten Motiven<br />
stehen. Dörner/Vogt (2008: 112–146)<br />
identifizieren acht Motivmuster, in die sich<br />
die von ihnen befragten Akteure einordnen<br />
lassen: Eher ältere Engagierte sind öfter<br />
als junge noch aus christlicher Nächstenliebe<br />
zivilgesellschaftlich aktiv. Sie sind<br />
dankbar, selbst ein erfülltes Leben geführt<br />
zu haben bzw. noch zu führen, wollen an<br />
die Gesellschaft „etwas zurückgeben“ oder<br />
agieren aus einem Schuldgefühl heraus.<br />
Auch bei republikanisch (abgeleitet aus<br />
dem „republikanischen“ Politikverständnis<br />
dieser Bürger, die ihre Anliegen zur res<br />
publica machen – Solidarität wird als vergemeinschaftendes<br />
Element gesehen) orientierten<br />
Engagierten steht das Gefühl der<br />
Pflicht im Vordergrund, allerdings eher<br />
aus einem politischen Interesse heraus.<br />
Sie sind oft langfristig engagiert und sehen<br />
sich als ein Sprachrohr für allgemeine<br />
Interessen. Für sie ist die Kommune als<br />
die kleinste politische Einheit der Ort, an<br />
dem sie ansetzen. Ein drittes Motivmuster<br />
wird als „Lokalpatriotismus und wohlverstandenes<br />
Eigeninteresse“ (Dörner/Vogt<br />
2008: 120) bezeichnet. Lokalpatrioten sind<br />
emotional stark an ihre heimatliche Stadt<br />
gebunden und wollen gezielt dazu beitraver.<br />
Durch diese veränderten Formen und<br />
Strukturen ist ein Ende der Verpflichtung<br />
abzusehen und vor allem steht ein greifbares<br />
Ergebnis am krönenden Abschluss: die<br />
„Früchte“ der freiwilligen Arbeit werden<br />
sichtbar (vgl. Dörner/Vogt 2008: 38). Der<br />
oder die altruistisch „Dienende“ ist somit<br />
ein Auslaufmodell; im Vordergrund stehen<br />
– bei der Jugend ebenso wie bei den älteren<br />
Freiwilligen – vielmehr ein gewisser<br />
Unterhaltungswert sowie die Möglichkeit<br />
zur Mitgestaltung der eigenen Lebenswelt.<br />
(vgl. Dörner/Vogt 2008: 38, Klages 1999: 12,<br />
Roth 2003: 24).<br />
In diesem Zusammenhang hat sich das<br />
Bedürfnis nach Mitsprache über Dinge,<br />
welche die Menschen direkt betreffen, und<br />
insbesondere die Mitgestaltung des eigenen<br />
Wohnumfelds stark erhöht (vgl. Gensicke/Picot/Geiss<br />
2006: 27, Klages 1999: 3,<br />
SIGMA: 6). Gerade Themen der Stadt(teil)<br />
entwicklung – und somit auch Wiederaufbauvorhaben<br />
– rufen oft großes Interesse<br />
hervor. In vielen Fällen übernehmen aktive<br />
Bürger die Initiative für Wiederaufbauvorhaben,<br />
leisten Lobbyarbeit, sammeln<br />
Spenden und tragen auf vielfältige andere<br />
Weise zu ihrer Wahrnehmung in der Stadtöffentlichkeit<br />
bis hin zur Umsetzung bei.<br />
Wagner-Kyora (2004: 90) bezeichnet lokale<br />
Wiederaufbau-Vereine gar als ein „ideales<br />
Betätigungsfeld von Partizipation“.<br />
Am klar festgesetzten Ende des Projekts<br />
steht etwas „zum Anfassen“, nämlich die<br />
Errichtung eines „besonderen Schmuckstücks“<br />
für die Stadt (von Saldern/Wagner-<br />
Kyora 2005: 47). René Seyfarth (2009, vgl.<br />
Kap. 3.5) nennt das Bedürfnis, das hinter<br />
dieser Entwicklung steht, die „Machbarkeit<br />
von Welt“. Auf die Frage, warum sich<br />
gerade viele junge Leute, die oft einen verlorenen<br />
Originalbau gar nicht aus eigener<br />
Anschauung kennen, für Rekonstruktionen<br />
einsetzen, erläutert er deren pragmatische<br />
Einstellung zu bürgerschaftlichem<br />
Engagement: Die Lösung vieler gesellschaftlicher<br />
Probleme wie z. B. Arbeitslosigkeit<br />
oder Rechtsextremismus sei eben<br />
nicht innerhalb einiger Monate oder Jahre<br />
zu erreichen, sondern ist wesentlich langfristiger<br />
angelegt. Der Einsatz für Rekonstruktionen<br />
kann seiner Meinung nach<br />
als ein Ersatz für die Lösung dieser ungleich<br />
komplexeren Probleme gesehen<br />
werden. Gleichzeitig, so die These Seyfarths,<br />
werden dadurch aber auch andere<br />
gesellschaftliche Diskurse verunmöglicht<br />
oder wenigstens überlagert. Die Rekonstruktions-Befürworter<br />
bezeichnet er daher<br />
auch als „Pragmatiker“, denen es auf eine<br />
materielle Umsetzung von Symbolen ankommt,<br />
die Gegner hingegen als „Idealisten“,<br />
da für sie die historische „Wahrheit“<br />
im Vordergrund steht.