PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Wiederaufbauprozesse: Zentrale Einflussfaktoren<br />
97<br />
Die nur scheinbar banalste Funktion, die<br />
Wiederaufbauvorhaben argumentativ zudie<br />
große Bandbreite verschiedener Strategien<br />
in sehr unterschiedlich gelagerten Situationen<br />
– an dieser Stelle nicht möglich<br />
sein wird, sollen zudem erste Überlegungen<br />
darüber angestellt werden, unter welchen<br />
Bedingungen von einem entsprechenden<br />
Potenzial ausgegangen werden kann.<br />
Die Überprüfungen werden dabei zum Teil<br />
nur exemplarisch geführt werden können,<br />
so dass eine fundiertere, allgemeine Einschätzung,<br />
bzw. die Übertragbarkeit auf<br />
weitere Wiederaufbauvorhaben nur sehr<br />
bedingt möglich ist. An dieser Stelle muss<br />
auch darauf verzichtet werden, zu überprüfen,<br />
inwieweit das Entstehen (ernsthafter)<br />
Rekonstruktionsbemühungen und ihre erfolgreiche<br />
Durchsetzung von der Fähigkeit<br />
abhängen, die jeweils beabsichtigten Funktionen<br />
tatsächlich zu erfüllen. Hierfür wäre<br />
eine weitaus tiefer gehende empirische Untersuchung<br />
erforderlich.<br />
Die nachfolgend genannten potenziellen<br />
Funktionen von Wiederaufbauvorhaben<br />
wurden im Zuge des Forschungsvorhabens<br />
innerhalb unterschiedlicher Debatten<br />
identifiziert und werden daher nicht<br />
einzeln belegt. Es wird nicht davon ausgegangen,<br />
dass sämtliche Funktionen explizit<br />
oder implizit in allen Debatten um Wiederaufbauvorhaben<br />
eine Rolle spielen oder<br />
als Begründung angeführt werden. Dennoch<br />
soll nicht der Versuch unternommen<br />
werden, die Häufigkeit der Verwendung<br />
zu überprüfen, da auch dies umfangreiche<br />
empirische Untersuchungen erfordern<br />
würde. In einer hier probeweise eingeführten<br />
Typologisierung werden (primär)<br />
ästhetische, stadtstrukturelle, (stadt-)historische,<br />
gesellschaftliche und ökonomische<br />
Funktionen unterschieden. Es wird<br />
davon ausgegangen, dass es möglich ist,<br />
lokale Rekonstruktionsdebatten nach der<br />
Dominanz einzelner bzw. der Kombination<br />
mehrerer potentieller Funktionen in<br />
der Argumentation von Befürwortern und<br />
Gegnern zu unterscheiden.<br />
Im Folgenden werden lediglich Funktionen<br />
betrachtet, die dem Bauwerk und seiner<br />
Architektur zugeschrieben werden,<br />
während solche, die sich aus der Nutzung<br />
heraus begründen, nicht aufgeführt werden.<br />
Wenngleich hier nicht einer Beliebigkeit<br />
von Gebäudenutzung und -hülle das<br />
Wort geredet werden soll, ist doch davon<br />
auszugehen, dass die wenigsten für ihre<br />
funktionsfähige Nutzung eine bestimmte<br />
Architektur benötigen. Entsprechend<br />
sind nur wenige Beispiele bekannt, in denen<br />
die Nutzung ein zentrales Argument<br />
für einen Wiederaufbau gewesen ist (vgl.<br />
etwa die Fallstudie zur Paulinerkirche,<br />
die allerdings letztlich auch nicht erfolgreich<br />
im Sinne der geforderten originalgetreuen<br />
Rekonstruktion verlief; 5.2). Es sei<br />
allerdings darauf hingewiesen, dass die<br />
Nutzung häufig als ein zentrales Gegenargument<br />
angeführt wird, weil sie zunächst<br />
unklar (etwa Berliner Stadtschloss), nicht<br />
erforderlich (Wiederaufbau von Kirchen<br />
in Ostdeutschland) oder nicht dem Bautyp<br />
adäquat möglich (vordemokratische Herrschaftsbauten)<br />
sind.<br />
4.31 Ästhetische Funktionen<br />
Als primär ästhetische Funktionen werden<br />
hier solche gefasst, bei denen es wesentlich<br />
um einen bestimmten visuellen Eindruck<br />
geht. Dabei zeigt allerdings bereits die folgende<br />
Übersicht, dass davon ausgegangen<br />
wird, dass die Ästhetik stets Ausdruck weitergehender<br />
sozialpsychologischer Motive<br />
und letzten Endes auch gesellschaftlicher<br />
Ansichten, Ziele und Interessen ist:<br />
• Schaffung eines individuell als „schön“<br />
empfundenen Stadtbildes oder einer als<br />
„gemütlich“ angesehenen Situation, auch<br />
als Mittel der Selbststilisierung und Distinktion<br />
• Abwehr einer als befremdend empfundenen<br />
Austauschbarkeit zeitgenössischen<br />
Bauens<br />
• Ablehnung bzw. Revision der Zeugnisse<br />
der architektonischen (Nachkriegs-)Moderne.<br />
Die Abgrenzung zu den weiter unten aufgeführten<br />
gesellschaftlichen Funktionen<br />
besteht darin, dass dort die gesellschaftliche<br />
Wirkung explizit angeführt wird und<br />
somit stets bewusst ist, während hier sich<br />
das Argument ästhetischer Begrifflichkeiten<br />
bedient und in der Regel auch den verwendenden<br />
Akteuren die sozialpsychologische<br />
bzw. gesellschaftliche Dimension<br />
nicht bewusst ist.<br />
„Schönheit“ und „Gemütlichkeit“ zur<br />
Selbststilisierung und Distinktion