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46 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Bildwerk entfernt (Angenendt 1994: 236–<br />

241). Bei den „Altgläubigen“ sowie innerhalb<br />

der katholischen Kirche führte<br />

dieses Treiben einerseits zu Rettungsaktionen<br />

und einer Verteidigung der tradierten<br />

Formen innerhalb der Gegenreformation,<br />

andererseits aber auch zu gewissen<br />

Reformen, einer Reduktion des Heiligenkalenders<br />

etwa, und schließlich auch zu<br />

einer abnehmenden Tendenz in der Heiligen-<br />

und Reliquienverehrung (Angenendt<br />

1994: 242–253). Wesentlicher ist allerdings,<br />

dass ähnlich der für den Protestantismus<br />

maßgeblichen Tendenzen zur Unterdrückung<br />

der Volksfrömmigkeit zur Durchsetzung<br />

der neuen Lehre (Ginzburg 1983,<br />

Muchembled 1982: 105) auch im Katholizismus<br />

eine Sozialdisziplinierung stattfand.<br />

Diese habe zu einer vergleichbaren<br />

„Individualisierung“ des Glaubens und Herausbildung<br />

einer katholischen Identität<br />

geführt, bei der „neben der Sakramentsfrömmigkeit<br />

[der] Heiligen- und Bildkult<br />

zum Inbegriff des Katholizismus stilisiert“<br />

(Angenendt 1994: 255, vgl. Reinhard<br />

1983: 266) wurde. Im Prostestantismus<br />

gab es neben Misch- und Übergangsformen<br />

Ansätze eines Luther-Kultes (Angenendt<br />

1994: 257–258, vgl. Zeeden 1950: 57–<br />

70). Die Konfessionalisierung richtete sich<br />

damit zunächst auf eine Gruppenidentität<br />

und ihre Abgrenzung gegenüber der<br />

jeweils anderen Religionsauslegung. Sie<br />

bewirkte aber auch die Abwertung der<br />

„unorthodoxe[n] Volksreligion“ (Muchembled<br />

1982: 103–105) und die Durchsetzung<br />

einer Elitekultur. Schließlich führte sie im<br />

Weiteren zu einer allgemeinen Disziplinierung<br />

hinsichtlich Ordnung, Selbstkontrolle<br />

und Staats- und Lebensführung (Schulze<br />

1987: 273, Angenendt 1994: 253–256).<br />

Hier nur erwähnt werden sollen die<br />

„vernichtend[en]“ (Angenendt 1994: 262;<br />

vgl. insg. 261–270) Auswirkungen der<br />

durchaus nicht anti-religiösen Aufklärung,<br />

der „Entzauberung“ (Max Weber) und<br />

des wissenschaftlichen Fortschritts, etwa<br />

der Wende hin zu einer modernen Auffassung<br />

vom körperlichen Tod um 1800 (Oexle<br />

1984: 386). Mehr noch als die Reformation<br />

führte dies auch zu einer Reduzierung<br />

des Heiligen- und Reliquienkults im Katholizismus.<br />

Gleichzeitig geschah möglicherweise<br />

erstmals etwas, das häufig als<br />

Säkularisierung der Heiligen- und Reliquienverehrung<br />

bezeichnet wird, obwohl<br />

aus religionswissenschaftlicher Sicht erhebliche<br />

Einsprüche bestehen (Erret 2003).<br />

Gleichwohl gab es teilweise auch unter<br />

den Aufgeklärten den Hang zu einer (säkularisierten)<br />

Verehrung von „edlen Menschen“,<br />

vor allem von Dichtern wie Goethe,<br />

Klopstock oder Shakespeare, aber auch<br />

von großen Denkern wie Kant oder Fichte<br />

(Neuhaus 1989).<br />

Während die Aufklärung im vollen Gange<br />

war, die Revolution im benachbarten<br />

Frankreich gerade beendet wurde und damit<br />

die Säkularisierung nicht nur durch<br />

die Trennung von Staat und Kirche, sondern<br />

auch als Gesellschaftsentwicklung<br />

voran schritt, entstand mit der Romantik<br />

– insbesondere in Deutschland – eine wesentliche<br />

gesellschaftliche Strömung gegen<br />

diesen Zeitgeist (vgl. insg. Romantik<br />

3.3.2). „Für den Katholizismus und gerade<br />

auch für seine vor aufklärerischen Religionsformen<br />

wirkte die Romantik wie eine<br />

Schutzglocke. Das Volk durfte wieder verehren,<br />

was ihm heilig war und ihm hatte<br />

genommen werden sollen“ (Angenendt<br />

1994: 275; vgl. insg. 274–303). Novalis sehnte<br />

bereits 1799 die vergangene christliche<br />

Zeit zurück, Kleist veröffentlichte 1808<br />

die „Heilige Cäcilie“, Goethe würdigte 1814<br />

das „Sankt-Rochus-Fest zu Bingen“ einschließlich<br />

Reliquienverehrung in einer<br />

Erzählung und Brentano sah Reliquien<br />

gar als Prüfmaterial für einen verifizierbaren<br />

Glauben an, den er schließlich auch<br />

durch eine Rekonstruktion der textlichen<br />

Lücken des Neuen Testaments ermöglicht<br />

sehen wollte. Der restaurierte katholische<br />

Reliquienkult wurde dabei durchaus zeitgemäß<br />

verändert und etwa um Sittlichkeitsmahnungen<br />

ergänzt. Dies führte einerseits<br />

zu einer neuerlichen Zuwendung<br />

zum Katholizismus u. a. durch zahlreiche<br />

Konvertiten, einer katholischen Emanzipation<br />

und Demonstration des katholischen<br />

Glaubens, anderseits im Anschluss<br />

an die Hochphase der Romantik auch zu<br />

einer Ästhetisierung und einem religionsfremden<br />

Gebrauch (vgl. etwa Herrmann<br />

1954: 13, Metken 1989: 388), was eher einem<br />

Geist des „Romantischen“ als der Romantik<br />

selbst entsprungen sein mag. Der<br />

neuerlich erstarkten Religiosität konnte<br />

über weite Teile des 19. Jahrhunderts<br />

auch die Wissenschaftsentwicklung, etwa<br />

in den Bereichen der Kirchenhistorie, der<br />

Ethnologie und der Entstehung der Tiefen­

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