PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Grundlagen für eine Qualifizierung der Debatten über „Identität durch Rekonstruktion“<br />
301<br />
fen inneren Verbundenheit der höchsten<br />
Organe unseres sozialistischen deutschen<br />
Volksstaates mit den Volksmassen, die in<br />
unserer sozialistischen Demokratie aktiv<br />
an der Leitung von Staat und Wirtschaft<br />
mitwirken, zum Ausdruck.“<br />
Zu Zeiten der DDR wurde der Fernsehturm<br />
politisiert und als Symbol für die technische<br />
und Konstruktionsüberlegenheit, die<br />
Modernität und Leistungskraft der sozialistischen<br />
Welt gegenüber der westlichen<br />
Welt eingesetzt (vgl. Müller 1999: 8). Hinzukam<br />
der Wunsch nach einer „sozialistischen<br />
Stadtkrone“, einer Höhendominante,<br />
die als sichtbares architektonisches Symbol<br />
das Selbstbewusstsein des jungen Arbeiter-und-Bauern-Staates<br />
widerspiegelte<br />
(vgl. Müller 1999: 13; Eckert 2007: 17).<br />
Anekdotische Bedeutung für die Bevölkerung<br />
Ost-Berlins hatte der Turm als Aussichtspunkt<br />
über die Stadt und auch auf<br />
den westlichen Teil, ein ansonsten verwehrter<br />
Einblick (vgl. Müller 1999: 8). Aber<br />
auch das nach Fertigstellung der Turmkugel<br />
im Oktober 1968 bei Sonnenschein<br />
auftretende Lichtkreuz, verursacht durch<br />
Lichtreflexionen auf der Kugeloberfläche<br />
(vgl. Baunetzwoche 2009: 12; Müller 1999:<br />
107). Die Ironie: In einem Staat, in dem<br />
sich alle Mächte – auch die Kirche – unterzuordnen<br />
hatten, trug der Prestigebau als<br />
Symbol eben dieser Ordnung das Zeichen<br />
der Kirche. Dieses ungeplante Phänomen,<br />
das nebenbei zur Plastizität der Kugel beiträgt,<br />
führte zu einer weiteren Popularisierung<br />
des Gebäudes. Während der geplante<br />
Abriss des Fernsehturms durch die SED-<br />
Führung ein Gerücht zu sein scheint (vgl.<br />
Müller 1999: 107), spottete insbesondere<br />
die westdeutsche Presse mit Spitznamen<br />
wie „Sankt Walter“ oder die „Rache des<br />
Papstes“ über den ostdeutschen Prestigebau.<br />
Die DDR-Führung propagierte demgegenüber<br />
„den etwas gespreizten DDR-<br />
Kosenamen ‚Telespargel‘“ (Müller 1999:<br />
109 f.).<br />
In der heutigen Belegung des Fernsehturms<br />
ist die politische Dimension verblasst<br />
und wird lediglich durch ein nostalgisches<br />
Bewusstsein, gepaart mit<br />
anekdotischen Spitznamen und Geschichten<br />
gewahrt (vgl. Müller 1999: 8). Weniger<br />
im populären Bewusstsein präsent ist<br />
die Mythenbildung, die auf einer durch<br />
die DDR-Propagandamaschinerie und die<br />
weitgehend geheim gehaltenen Konstruktionsgeschichte<br />
beruht (vgl. Müller 1999:<br />
8, 32). Deutlich wird die Kurzweiligkeit<br />
der symbolischen Belegungen des Fernsehturms:<br />
„Nach der Vereinigung der beiden<br />
deutschen Staaten war es der Berliner<br />
Fernsehturm, der – verglichen mit etwa<br />
dem Palast der Republik, dem Staatsratsgebäude<br />
oder dem Ministerium für Auswärtige<br />
Angelegenheiten –, ungeheuer schnell<br />
seinen politischen Ballast abwerfen konnte,<br />
obwohl er […] zu den Prestigeobjekten<br />
der SED gehörte.“ (Müller 1999: 147) Auch<br />
wenn nach der Wiedervereinigung Einzelne<br />
den Abriss forderten (vgl. Müller 1999:<br />
147), ist der Fernsehturm heute zumindest<br />
in architektonischen Fachkreisen eine anerkannte<br />
Errungenschaft der DDR-Architektur<br />
(vgl. Müller 1999: 13).<br />
Das breite Publikum spricht allerdings<br />
der Blick über Berlin an. Mit mittlerweile<br />
über 40 Millionen Besuchern (vgl. Baunetzwoche<br />
2009: 6) stellt der Fernsehturm<br />
einen touristischen Magneten dar (vgl.<br />
auch Müller 1999: 8, 148). Die markante<br />
bauliche Struktur lässt den Fernsehturm<br />
ferner als Orientierungsmarke fungieren,<br />
die von überall in Berlin sichtbar ist (vgl.<br />
Eckert 2007: 15 f.; Müller 1999: 8, 148). In<br />
Berlin, einer Stadt der politischen, sozialen<br />
und baulichen Veränderungen, die<br />
„Resultat von stornierten, gescheiterten,<br />
unvollendet gebliebenen, weiter gebauten<br />
oder wieder entwerteten, kurz: Fragmenten<br />
gebliebenen baulichen Artefakten“<br />
(Walther/ Günther 2004: 40) ist, stellt der<br />
Fernsehturm Konstanz dar; seit 40 Jahren<br />
unübersehbar existent, erzeugt er Vertrauen<br />
(vgl. Eckert 2007: 21 f.). Müller (1999: 8)<br />
verweist in diesem Kontext zudem auf die<br />
Wahrzeichenfunktion, die der Stadtsilhouette<br />
ein Gesicht verleiht und Unverwechselbarkeit<br />
sowie Wiedersehensfreude<br />
erzeugt (vgl. auch Eckert 2007: 21 f.). So<br />
ist der Fernsehturm neben dem Brandenburger<br />
Tor das internationale Symbol von<br />
Berlin (vgl. Baunetzwoche 1999: 6), dient<br />
allerdings nicht nur als Symbol der Wiedervereinigung<br />
(vgl. Eckert 2007: 21), sondern<br />
wird von verschiedenen gesellschaftlichen<br />
Gruppierungen angenommen.<br />
Nicht repräsentativ, aber Aufschluss über<br />
die alltägliche Bedeutung des Fernsehturmes<br />
gibt eine Online-Befragung der Berliner<br />
Morgenpost. Auf die Frage: „Welche