PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
67<br />
Wiederaufbau nach dem Krieg zumindest<br />
für Teile der Bevölkerung tatsächlich der<br />
Wunsch nach Neuanfang und Fortschritt<br />
Vorrang vor der Wiederherstellung historischer<br />
Gebäude hatte (vgl. Korfkamp 2006,<br />
Neumeyer 1992).<br />
Erst in den 1970er und besonders den<br />
1980er Jahren entstand – parallel zum Aufkommen<br />
der ersten Wiederaufbauvorhaben<br />
neuen Typs – ein neuer, aufgeklärterer<br />
Heimatbegriff, der in enger Verbindung<br />
mit der Entstehung der neuen sozialen Bewegungen<br />
gesehen wird. Den Boden dafür<br />
bereitet hatte die 68er-Studentenbewegung,<br />
deren Vertreter allerdings den<br />
Terminus Heimat aufgrund ihrer grundsätzlichen<br />
Skepsis gegenüber den Werten<br />
der älteren Generation nie gebrauchten.<br />
Eine Kombination aus dem neu erwachenden<br />
Wunsch nach Heimat und der Unzufriedenheit<br />
mit den herrschenden Verhältnissen<br />
– nicht nur, aber auch in Bezug<br />
auf Architektur und Stadtgestalt – brachte<br />
eine Welle des Engagements in bis dato<br />
ungekanntem Ausmaß ins Rollen, im Zuge<br />
derer erstmals Aktivitäten zur bewussten<br />
Verschönerung der Heimat unternommen<br />
wurden und sich auch die Rekonstruktions-Initiativen<br />
vermehrt über Zulauf<br />
freuen konnten.<br />
Mit dem Aufkommen der Öko-Bewegung<br />
kam es Anfang der 1980er Jahre zu einer<br />
neuerlichen Besinnung auf die Region und<br />
ihre jeweiligen Besonderheiten und Traditionen.<br />
Heimat wurde wieder stärker auf<br />
das Bewusstmachen der eigenen Wohnumgebung<br />
bezogen und als identitätsstiftend<br />
wahrgenommen. Die Suche nach einem<br />
„guten Leben“ wurde als Antwort auf<br />
die schnelllebige, technisierte Wegwerfgesellschaft<br />
und im Widerstand zur „Kolonialisierung<br />
der Lebenswelt“ (Habermas<br />
1981) verstanden (vgl. Korfkamp 2006,<br />
Lipp 1990). Gleichzeitig entstand Kritik an<br />
der wenig sinnlichen Nachkriegsarchitektur;<br />
die viel zitierte „Unwirtlichkeit der<br />
Städte“, die Mitscherlich bereits 1965 beklagt<br />
hatte, wurde von weiten Teilen der<br />
Gesellschaft als Arroganz der Architekten<br />
und Planer und als eine Geringschätzung<br />
ihrer Bedürfnisse wahrgenommen.<br />
Lipp (1990: 176) beschreibt diese Entwicklung<br />
wie folgt:<br />
„Hatte Modernisierung im ersten Entwicklungsschub<br />
bedeutet, dass das Dasein aus<br />
den beschränkten, herkünftigen Verhältnissen,<br />
in denen es stand, forciert ‚herausgerissen‘<br />
wurde – hinein in eine forteilende,<br />
zukunftsgewisse ‚Zeit‘, angesiedelt aber<br />
im ‚Nirgendwo‘ –, so tritt sie in ihrer zweiten<br />
Phase als Vorgang auf, der den Zeitablauf<br />
nicht nur verlangsamt – und anknüpft<br />
wieder ans Alte, die Geschichte – sondern<br />
zurückführt auf ‚Raum‘.“<br />
Erst jetzt wurde man sich den Ausmaßen<br />
des Verlustes an historischer Bausubstanz<br />
wirklich gewahr und konnte diesen betrauern<br />
– die Rückbesinnung auf die Heimat<br />
bedurfte erst der Erkenntnis, dass es<br />
sie in diesem Sinne nicht mehr gab. Der<br />
neuen Architektur wurde die Symbolqualität<br />
abgesprochen. Ohne diesen essenziellen<br />
Bestandteil der gebauten Umwelt<br />
werde es den Bewohnern unmöglich gemacht,<br />
sich in ihr zu orientieren, sich mit<br />
ihr zu identifizieren und sie in der Konsequenz<br />
als Heimat anzuerkennen (vgl. Kähler<br />
1981, zit. nach Novy 1990: 405). Der<br />
Wunsch nach einer vertrauten, persönlich<br />
gestalteten und nicht nur rein funktionalen<br />
Kriterien entsprechenden Umgebung<br />
entstand also und führte zu einer neuen,<br />
offenen Betrachtungsweise von „Heimat<br />
als Aneignung und Umbau“ gemeinsam<br />
mit anderen, als selbst mitgeschaffene<br />
kleine Welt, die Verhaltenssicherheit gibt,<br />
als menschlich gestaltete Umwelt“ (Bausinger<br />
1990: 88, Hervorhebungen im Original).<br />
In einem solchen Verständnis von Heimat<br />
wird diese also nicht mehr konsumiert,<br />
sondern aktiv produziert. Erst durch die<br />
bewusste Aneignung des Raums wird dieser<br />
zum persönlich erlebten und gelebten.<br />
Damit bezieht sich der Begriff erstmals<br />
nicht mehr ausschließlich auf den – zufälligen<br />
– Ort der Geburt und des Aufwachsens;<br />
Heimat kann vielmehr auch in einer<br />
späteren Lebensphase erneut oder gar<br />
erstmals gefunden werden. Gerade für Zugezogene<br />
ist die Auseinandersetzung mit<br />
der Geschichtlichkeit eines Ortes und deren<br />
architektonischen Zeugnissen oft der<br />
Schlüssel dazu, einen eigenen Ortsbezug<br />
zu entwickeln und dort Heimatgefühle zu<br />
entwickeln.<br />
In den 1990er Jahren und bis heute sind<br />
weitere Aspekte in den Vordergrund getreten,<br />
deren gesellschaftliche Auswirkungen<br />
bereits ausführlich diskutiert worden<br />
sind: Die Globalisierung, obwohl kein