PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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148 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Die Geschichte der Paulinerkirche ist fest<br />
verwurzelt in der Geschichte der Stadt<br />
Leipzig. Innerhalb des ab 1229 gebauten<br />
Dominikanerklosters wurde 1240 –<br />
nur 75 Jahre nach Verleihung der Stadtrechte<br />
– eine dreischiffige, flach gedeckte<br />
Klosterkirche errichtet. Trotz mehrfacher,<br />
umfangreicher Umbauten wurde dieser<br />
Grundriss prinzipiell beibehalten. Sie wurde<br />
dem Apostel Paulus geweiht, der Name<br />
„St. Pauli“ ist dennoch erst ab 1372 nachgewiesen.<br />
Der Leipziger Dominikanerorden<br />
gewährte 1409 hussitischen Lehrkräfte<br />
und Studenten aus Prag Unterkunft, die<br />
daraufhin die Universität Leipzig als zweite<br />
innerhalb des deutschen Reiches (nach<br />
Heidelberg) gründeten. Die Paulinerkirche<br />
wurde fortan auch für akademische Akte<br />
genutzt und diente als Begräbnisstätte der<br />
Universitätsprofessoren. Ende des 15. Jahrhunderts<br />
wurden die Seitenschiffe erhöht<br />
und die Kirche mit einem Deckengewölbe<br />
versehen, um bereits zwischen 1519 und<br />
1521 durch einen Neubau in spätgotischer<br />
Hallenform ersetzt zu werden. Im Zuge der<br />
Reformation sollte das Kloster geschliffen<br />
werden, der Rektor konnte jedoch eine<br />
Schenkung an die Universität erreichen,<br />
was dazu führte, dass die Kirche von 1539<br />
bis zur Weihe als protestantische Universitätskirche<br />
durch Martin Luther vor allem<br />
als Aula genutzt wurde. Seit 1545 fand<br />
dann zumeist eine gemischte Nutzung für<br />
akademische Gottesdienste, Feiern, Konzerte,<br />
Promotionen (religiös und weltlich)<br />
statt. Bis 1839 wurde das Augusteum nach<br />
Plänen Karl Friedrich Schinkels als Hauptgebäude<br />
der Universität errichtet und erhielt<br />
die Kirche eine passende Ostfassade<br />
im klassizistischen Stil. Bereits Ende des<br />
19. Jahrhunderts wurden die Fassaden beider<br />
Gebäude durch Arwed Rossbach historistisch<br />
überprägt: Während das Augusteum<br />
im Neorenaissance-Stil umgebaut<br />
wurde, wurde die Platzseite der Universitätskirche<br />
neogotisch gestaltet. Auch der<br />
spätgotisch erhaltene Innenraum wurfremder<br />
Interessen orientierten Akteure<br />
innerhalb einer im Wesentlichen unstrukturierten<br />
Arena;<br />
• der Wunsch der Mächtigen in Stadt und<br />
Land, an prominenter Stelle in der Stadt<br />
ein Bauwerk zu errichten und sich damit<br />
beim an dem Bau zunächst wenig interessierten,<br />
jedoch grundsätzlich kritischen<br />
Volke beliebt zu machen;<br />
• die Beschreibung eines komplexen Abwägungsprozesses<br />
zwischen konfligierenden<br />
Raumnutzungen, Ansprüchen,<br />
Deutungen und Aneignungen ohne die<br />
Anwendung eines entsprechenden planerischen<br />
Instrumentariums, zumal<br />
auch der Stellenwert von Religion in einer<br />
säkularen Stadt zum Abwägungsmaterial<br />
zählte;<br />
• eine Erzählung von der Bürgerstadt<br />
Leipzig, die sich mit beständigem Blick<br />
auf die höfische Landeshauptstadt Dresden<br />
ein dortiges Vorbild in einem für sie<br />
typischen stadtgesellschaftlichen Diskurs<br />
zu Eigen macht und dadurch etwas<br />
Eigenständiges erzeugt.<br />
Nicht – oder wenn, dann doch nur sehr begrenzt<br />
– geeignet scheint das Fallbeispiel<br />
hingegen für die Beschreibung des Konflikts<br />
zwischen zeitgenössischer Architektur<br />
und traditionsorientiertem Bauen. Die<br />
eigentliche Konfliktlinie besteht nämlich<br />
gerade nicht in der Interpretation oder Bewertung<br />
der Geschichte, womit sich Leipzig<br />
durchaus von anderen Rekonstruktionsdebatten<br />
unterscheidet, wo durchaus<br />
um Verständnis für moderne Stadtentwürfe<br />
geworben wird oder – im Falle einer direkten<br />
Kriegszerstörung – eine historische<br />
Bewertung tabuisiert oder zumindest vermieden<br />
wird. Vielmehr bestehen konträre<br />
Auffassungen darüber, ob aus dem vergangenen<br />
Unrecht ein Anspruch auf „Wiedergutmachung“<br />
erwächst und ob eine Rekonstruktion<br />
oder der Nicht-Wiederaufbau<br />
das geeignete Mittel zur Erinnerung an die<br />
Zerstörung ist. Wohl auch deshalb ist das<br />
Ergebnis ein anderes: „Eine neoexpressionistische<br />
Dachlandschaft, in die sich eine<br />
Reminiszenz an den Giebel der Paulinerkirche<br />
einfügt. So beispielsweise wäre<br />
eine ernsthafte Erinnerung möglich – fern<br />
jener Rekonstruktionsmanie, welche derzeit<br />
in Deutschland grassiert.“ (Hubertus<br />
Adam, Neue Züricher Zeitung 20.2.2004,<br />
zit. in Engmann 2008: 85)<br />
Im Folgenden werden die Begriffe Paulinerkirche<br />
und Universitätskirche synonym<br />
verwendet, obgleich die innerhalb<br />
der Debatte kontroverse Verwendung bekannt<br />
ist.<br />
5.21 Vorgeschichte<br />
Baugeschichte