PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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70 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Gemälde, Bauwerke, Denkmäler, Handlungen,<br />
Mimik, Gebärden, Parkanlagen –<br />
Objekte, Situationen und Ereignisse aller<br />
Art“ handeln (Schulze 1992: 94–95). Ihnen<br />
wird im Moment des Erlebnisses eine Bedeutung<br />
zugeschrieben, die über den eigentlichen<br />
Gegenstand hinausgeht. Diese<br />
Zuschreibung ist deshalb möglich, weil in<br />
der Erlebnisgesellschaft das Alltagsleben<br />
und somit auch alltägliche Gegenstände<br />
zunehmend ästhetisiert, also nicht mehr<br />
vornehmlich über ihre Funktion, sondern<br />
ihre subjektiv empfundene „Schönheit“<br />
und Fähigkeit, Informationen über<br />
den Besitzer zu kommunizieren, wahrgenommen<br />
werden: Man möchte nicht mehr<br />
nur essen, sondern „gut“ essen, nicht mehr<br />
nur wohnen, sondern „stilvoll“ wohnen;<br />
und man möchte, dass die Außenwelt dies<br />
mitbekommt. (Schulze 1992: 424–426, vgl.<br />
auch Wynne 2001: 293).<br />
Auch für die nachmoderne Stadtentwicklungspolitik<br />
spielt diese Ausdifferenzierung<br />
von Bedürfnissen eine Rolle. Die<br />
Innenstädte werden zunehmend als „Gesamterlebnis“<br />
wahrgenommen, in denen<br />
sich kulturelle und wirtschaftliche Funktionen<br />
konzentrieren, und in denen durch<br />
vielfältige und intensive Nutzung Urbanität<br />
und metropolitanes Flair generiert<br />
werden sollen (vgl. Altrock 2005: 349–357).<br />
Somit unterliegen auch die Wahrnehmung<br />
des Stadtraums und die Ansprüche an seine<br />
Aufenthaltsqualität einem Wandel: Es<br />
sollen nicht mehr nur Funktionen, sondern<br />
auch psychologische Bedürfnisse erfüllt<br />
werden (vgl. Häußermann 1994: 76).<br />
Nach dieser Logik können auch Rekonstruktionen<br />
das Rahmen gebende Element<br />
für ein Erlebnis darstellen. Am deutlichsten<br />
ist dies sicher dort, wo Menschen, die<br />
ein Bauwerk vor dessen Zerstörung – mittlerweile<br />
allerdings meist in ihrer Kindheit<br />
oder gar nur durch mediale Überlieferung<br />
– erlebt haben, dessen Wiederherstellung<br />
wünschen. Indirekt funktioniert dies allerdings<br />
auch durch das Erleben einer<br />
„Intaktheit“ historischer Bausubstanz<br />
oder auch nur eines historisch anmutenden,<br />
tatsächlich aber modernisierten oder<br />
überprägten Raumes andernorts, wie dies<br />
etwa durch den zunehmenden Städtetourismus<br />
katalysiert wird. Es lässt sich weiterhin<br />
interpretieren, dass moderne, rein<br />
nach funktionalen Gesichtspunkten konzipierte<br />
Bauten für bestimmte Personen<br />
gruppen keinen ausreichenden Erlebniswert<br />
aufweisen und deshalb abgelehnt<br />
werden. Im Unterschied zu anderen Epochen<br />
(z. B. Gründerzeit oder Jugendstil),<br />
in denen – hätte es den Ausdruck damals<br />
schon gegeben – Gebäude mit Erlebniswert<br />
gebaut wurden, handelt es sich heute<br />
nicht mehr nur um das Anliegen eines<br />
kleinen Teils der Gesellschaft. Durch den<br />
Übergang von einer Mangel- in eine Überflussgesellschaft<br />
verfügen mehr Menschen<br />
denn je die erforderliche Zeit, einen gewissen<br />
Bildungsgrad und ausreichende ökonomische<br />
Ressourcen, um sich in gesellschaftspolitische<br />
und kulturelle Debatten<br />
einzubringen. Zudem wird das Bedürfnis<br />
nach Gebäuden mit Erlebniswert durch<br />
relativ neue Phänomene wie die massenmediale<br />
Überlieferung von Bildern und<br />
Nachrichten noch angeheizt. (Dieser Aspekt<br />
wird im Teilkapitel „Mediengesellschaft“<br />
ausführlicher behandelt.) Schulze<br />
verweist zudem explizit auf die Vergänglichkeit<br />
von Erlebnisgütern, denen durch<br />
ständige Produktverbesserungen bereits<br />
bei ihrer Einführung das „Stigma des Veraltens“<br />
(1992: 63) anhaftet. Gebäuden, zumal<br />
nach traditionellen Vorbildern gestalteten,<br />
haftet in diesem Zusammenhang<br />
noch eine beruhigende Beständigkeit und<br />
Zeitlosigkeit an, die diesen Mechanismus<br />
(vorübergehend) außer Kraft setzen kann.<br />
Welche Art von Situation für wen auch<br />
wirklich zum Erlebnis wird, hängt vor allem<br />
mit den individuellen Erlebnisbedürfnissen<br />
zusammen. Diese sind wiederum<br />
abhängig von der jeweiligen ästhetischen<br />
Sozialisation, von Alter und Reifegrad einer<br />
Person, ihrem Bildungshintergrund sowie<br />
von „elementare[n] kulturgeschichtliche[n]<br />
Erfahrungen in Lebensphasen besonderer<br />
Prägsamkeit“ (Schulze 1992: 23, vgl. auch<br />
Müller/Hennings 1998: 10). Obwohl sich<br />
die Gesellschaft im Zuge der Individualisierung<br />
und Pluralisierung der Lebensstile<br />
stark ausdifferenziert, geht Schulze jedoch<br />
nicht von einem Verlust der Großgruppengesellschaft<br />
aus, da die Mehrheit der Menschen<br />
nach wie vor einem bestimmten sozialen<br />
Milieu – eben einer Großgruppe<br />
– zuzuordnen ist. Unter anderem die angesprochenen<br />
Faktoren konstituieren fünf<br />
von ihm identifizierte „Erlebnismilieus“<br />
mit sehr unterschiedlichen so genannten<br />
„Erlebnisrationalitäten“, die aber alle<br />
durch ihre innenorientierte, auf das schö