PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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72 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Nach dieser Beschreibung stellen sich mehrere<br />
Milieus als potenziell wiederaufbauaffin<br />
dar, wenn auch in unterschiedlichem<br />
Maße. Auch hier sind in Ermangelung empirischer<br />
Daten nur vorsichtige Interpretationen<br />
möglich: Die Mitglieder des Niveaumilieus<br />
sind zwar negativ gegenüber<br />
Nachbildungen eingestellt, gleichzeitig<br />
verachten sie aber auch alles Moderne und<br />
rein Funktionale. Hinzu kommt ihr Streben<br />
nach Perfektion und ständiger Verbesserung<br />
der ästhetischen Qualitäten ihrer<br />
Umgebung und somit vielleicht auch des<br />
Stadtbildes ihrer Heimatstadt. Da sie zudem<br />
besonders häufig politisch und/oder<br />
gesellschaftlich aktiv sind und es gewohnt<br />
sind, öffentlich aufzutreten, ist es möglich,<br />
dass Wiederaufbauinitiativen zumindest<br />
einige Engagierte aus diesem Milieu rekrutieren<br />
– je nachdem, ob diese das Moderne<br />
oder das Nachgebildete als unangenehihre<br />
Geschmacksschemata nach außen<br />
hin darstellen und sich dadurch abgrenzen.<br />
Die genannten Faktoren haben somit<br />
ihre Milieu begründende Funktion nicht<br />
verloren, die Ausstrahlung eines Milieus<br />
auf die anderen ist jedoch begrenzt – sie<br />
beziehen sich einfach nicht mehr auf einander<br />
(vgl. Kraemer 1998: 112–117).<br />
Insgesamt fünf Erlebnismilieus werden<br />
voneinander abgegrenzt: Niveaumilieu,<br />
Harmoniemilieu, Integrationsmilieu,<br />
Selbstverwirklichungsmilieu und Unterhaltungsmilieu.<br />
Unterschiede bestehen<br />
vor allem hinsichtlich des Alters und des<br />
Bildungsstands, aber auch Familienstand,<br />
Haushaltsstruktur, Arbeitsplatzmerkmale<br />
und Wohnsituation spielen eine Rolle<br />
(vgl. Schulze 1992: 278–333). Das Niveaumilieu<br />
ist dabei geprägt durch ältere Menschen)<br />
mit höherer Bildung, die mit dezenter,<br />
aber konventioneller Eleganz auftreten,<br />
nicht selten auch öffentlich Ihr kulturelles<br />
Interesse konzentriert sich auf den anerkannten<br />
Kanon der Hochkultur, alles<br />
Praktische, Triviale oder Unruhige wird<br />
abgelehnt. Ebenso wenig können sie materiellen<br />
Nachbildungen (etwa von Stilmöbeln)<br />
oder Kitsch etwas abgewinnen, geschweige<br />
denn sich für moderne Formen<br />
der Unterhaltung begeistern. Ihr Genussstreben<br />
ist kontemplativ und auf die Erfahrung<br />
von Perfektion ausgerichtet. Die<br />
einzige Gemeinsamkeit von Niveaumilieu<br />
und Harmoniemilieu ist das zumeist gehobene<br />
Alter ihrer Mitglieder. Im Harmoniemilieu<br />
herrscht jedoch eine tendenzielle<br />
Neigung zum Rückzug auf sicheres Terrain,<br />
also zumeist in die Geborgenheit der eigenen<br />
vier Wände vor. Diese wird gerne auch<br />
verschwenderisch nach der Devise „viel ist<br />
schön“ (Schulze 1992: 293) dekoriert. Die<br />
Außenwelt wird als potenziell bedrohlich<br />
erlebt, weshalb die Mitglieder dieses Milieus<br />
nach Harmonie (auch ästhetischer)<br />
streben und Neues oder gar Avantgardistisches<br />
nach Möglichkeit meiden. Entsprechend<br />
selten engagieren sie sich politisch<br />
oder sind bereit dazu, sich aufzulehnen.<br />
Das Integrationsmilieu steht in jeder Hinsicht<br />
zwischen Niveau- und Harmoniemilieu<br />
und kombiniert viele, zunächst gegensätzlich<br />
erscheinende Stilelemente. Primär<br />
setzt es sich zusammen aus mittleren Angestellten<br />
und Beamten, die gerne in Vereinen<br />
aktiv sind, sich von alternativen sozialen<br />
Bewegungen aber stark distanzieren,<br />
die in der Zeitung sowohl Kleinanzeigen<br />
als auch den Politikteil ausführlich lesen<br />
und die sowohl leichte Unterhaltungsmusik<br />
mögen als auch in die Oper gehen. Ihr<br />
Streben richtet sich auf Konformität und<br />
Anti-Exzentrik, was auch dazu führt, dass<br />
sie sich politisch leicht unterordnen. Das<br />
erste jüngere Milieu nennt Schulze das<br />
Selbstverwirklichungsmilieu. Durch seine<br />
hohe Mobilität und den Drang nach außen<br />
dominiert es die öffentliche Wahrnehmung.<br />
Zumeist handelt es sich bei seinen<br />
Mitgliedern um Studierende oder junge<br />
Leute am Beginn ihrer Berufskarriere mit<br />
relativ hohem Bildungshintergrund. Oftmals<br />
findet sich hier der Ausgangspunkt<br />
von politischen Bewegungen, worin sich<br />
die Lust dieses Milieus an der Provokation<br />
widerspiegelt. Beruf und Geld dienen der<br />
Selbstverwirklichung, nicht umgekehrt.<br />
Jüngere Personen mit niedrigem Schulabschluss<br />
bilden schließlich das Unterhaltungsmilieu.<br />
Dessen Mitglieder kopieren<br />
teils den Stil des Selbstverwirklichungsmilieus<br />
(z. B. in der Mode), teils des Harmoniemilieus<br />
(z. B. bei der Inneneinrichtung).<br />
Sie suchen nach Erfahrungen mit starkem<br />
Erlebnisreiz, die wenig eigene Erlebniskompetenz<br />
voraussetzen (Fußballspiele,<br />
Spielhallen, Volksfeste…). Wie ihre Eltern,<br />
die zumeist dem Harmoniemilieu angehören,<br />
sind sie wenig politisch interessiert,<br />
bekunden aber eine gewisse Nähe zu den<br />
neuen sozialen Bewegungen als Ausdruck<br />
ihrer Jugendlichkeit.