PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
71<br />
ne Erleben und den Konsum immer neuer<br />
statusträchtiger Güter abzielende Idee von<br />
der Gestaltung eines interessanten Lebens<br />
ausgerichtet sind. Erlebnisrationalität bezeichnet<br />
bei Schulze (1992: 40–42) die<br />
„Systematisierung der Erlebnisorientierung“.<br />
Zu diesem Zweck stellt ein Mensch<br />
Situationen her, die möglichst gesichert<br />
ein Erlebnis herbeiführen, und manipuliert<br />
zudem sein eigenes Innenleben, um<br />
die subjektive Verarbeitung zu gewährleisten.<br />
Diese Erlebnisabsicht ist die Voraussetzung<br />
dafür, dass eine Situation subjektiv<br />
überhaupt als Erlebnis erfahren wird.<br />
Die Erlebnisorientierung wird – bei aller<br />
Individualität und Vielfalt – also zum<br />
„universellen Grundmuster der Beziehung<br />
von Mensch und Welt“ (Schulze 1992: 36,<br />
vgl. auch Müller-Schneider 2000).<br />
Die Tatsache, dass die Subjekte kaum noch<br />
unter existenziellen Mängeln leiden und<br />
über kaum begrenzte Möglichkeiten verfügen,<br />
führt allerdings nicht dazu, dass sie<br />
nun gar keine Bedürfnisse mehr verspüren.<br />
Vielmehr geraten sie von einer „Pauperismuskrise“<br />
in eine „Sinnkrise“ (Schulze<br />
1992: 55), die stark verunsichernd auf<br />
sie wirkt. Konnte früher noch die Diskrepanz<br />
zwischen Möglichkeiten und Bedürfnissen<br />
identitätsstiftend und sinngebend<br />
wirken, so wirft die Erlebnisgesellschaft<br />
die unangenehme Frage danach auf, welche<br />
der vielen Möglichkeiten im Leben eigentlich<br />
genutzt werden sollen, um welche<br />
Art von Identität hervorzubringen. Neue<br />
Vergemeinschaftungsformen – zum Beispiel<br />
Erlebnisse – ersetzen zunehmend<br />
die traditionellen (vgl. Bittner 2001b: 16).<br />
Diese Prämisse Schulzes ist vielfach kritisiert<br />
worden: So könne es sich bei der Erlebnisgesellschaft<br />
in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit<br />
und einer sich ständig<br />
verbreiternden Einkommensschere zwischen<br />
Arm und Reich nur um eine „oberflächliche<br />
Zeitgeistblüte[…] [handeln], die<br />
allenfalls für wohlfahrtsstaatliche Gesellschaften<br />
der 1980er Jahre eine gewisse Berechtigung“<br />
(Hillebrandt/Kneer/Kraemer<br />
1998: 8) habe. Alheit (1995) spricht gar von<br />
Zynismus. Schulze selbst räumt ein, dass<br />
Mangel und durch Arbeitslosigkeit erzwungene<br />
Freizeit als ebenfalls wichtige<br />
Tendenzen neben der Wohlstandsgesellschaft<br />
stehen – eine Tatsache, die heute<br />
ebenso gültig scheint wie zu Beginn der<br />
1990er Jahre. Müller-Schneider (1998: 137–<br />
138) geht davon aus, dass moderne Gesellschaften<br />
trotz dieser Widersprüche<br />
aber immer noch subjektzentriert organisiert<br />
sind und das Innenleben weiterhin<br />
das „Zentrum der Wirklichkeitserfahrung“<br />
(1998: 138) ist. Materielle Knappheit<br />
ist selten existenzgefährdend. Das Wählen<br />
zwischen mehreren Optionen, die wünschenswerte<br />
Selbstzustände herbeiführen<br />
soll, ist in unserem Alltag so stark verankert,<br />
dass er die Hauptthese Schulzes weiterhin<br />
als gültig ansieht.<br />
Über die oben beschriebene Ästhetisierung<br />
des Alltagslebens kristallisieren sich<br />
nach Schulze Stile (er bezeichnet sie als<br />
„alltagsästhetische Schemata“) heraus, die<br />
wiederum zur Herausbildung einer Form<br />
von nachtraditionalen Gemeinschaften,<br />
der genannten Erlebnismilieus, beitragen<br />
(vgl. Müller-Schneider 1998: 140, Schulze<br />
1992). Die Individuen ordnen sich einem<br />
dieser Milieus zu und nehmen darüber<br />
ihre Identitätsbildung vor. Dadurch, dass<br />
in allen Erlebnismilieus bestimmte Geschmacksmuster<br />
akzeptiert und verbreitet<br />
sind, helfen sie den Individuen, ihre Umwelt<br />
zu strukturieren und erleichtern ihnen<br />
die Entscheidung, welches Erlebnisangebot<br />
aus der dargebotenen Fülle wohl<br />
das angemessene für sie und ihr Erlebnisbedürfnis<br />
ist (vgl. Schulze 1992: 431–436).<br />
Im Unterschied zu Bourdieus Klassen stehen<br />
die Erlebnismilieus jedoch horizontal<br />
nebeneinander und nehmen kaum Bezug<br />
aufeinander, ein „Oben“ oder „Unten“<br />
ist nicht mehr eindeutig feststellbar. Zwar<br />
spielt auch für Schulze die Distinktion von<br />
den anderen Milieus eine Rolle. Im Vordergrund<br />
steht jedoch nicht die Abgrenzung,<br />
sondern die Herbeiführung von Genuss<br />
(vgl. Henning/Müller 1998: 16, Schulze<br />
1992: 167). Auch diese These ist in die Kritik<br />
geraten: So sei der Lebensstil doch noch<br />
stark an den sozialen Rang, das jeweilige<br />
ökonomische und kulturelle Kapital und<br />
vor allem das Bildungsniveau eines Subjekts<br />
gebunden (vgl. z. B. Neckel 1998: 206,<br />
Kraemer 1998: 103–104). Dieser Einwand<br />
ist sicher nicht von der Hand zu weisen.<br />
Von Bedeutung für das Verständnis im Zusammenhang<br />
mit dem Forschungsprojekt<br />
ist aber vor allem die Annahme, dass<br />
– anders als bei Bourdieu – die Hochkultur<br />
nicht mehr die einzig legitime darstellt,<br />
die sich von den anderen unterscheiden<br />
möchte. Vielmehr möchten alle Milieus