PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Fallstudien<br />
207<br />
die Hauptkonfliktlinie die Zuordnung von<br />
spezifischen Personen und Gesellschaftsteilen<br />
bzw. Akteure zu den konfligierenden<br />
Positionen anhand klassischer Akteursbezeichnungen<br />
(etwa politischer Parteien)<br />
zunächst kaum möglich. An dieser Stelle<br />
soll hier stattdessen eine Milieuzuweisung<br />
gewagt werden.<br />
Der Hauptkonflikt wurde in Wesel um die<br />
Finanzierung geführt, obwohl sich die<br />
Kosten der Fassadenrekonstruktion mit<br />
gut 3 Mio. Euro in einem begrenzten Umfang<br />
bewegen und frühzeitig – und wie es<br />
bislang scheint, solide – abgeschätzt wurden.<br />
Dabei war die Verwendung des Geldes,<br />
insbesondere des städtischen Anteils<br />
von rund 400 000 Euro, für ein als Luxus<br />
betrachtetes Projekt umstritten, und<br />
die Herkunft des Geldes sowie der stetige<br />
Spendenstrom wurden als ein wesentliches<br />
Zeichen der Zustimmung und des<br />
Engagements der Bevölkerung gewertet.<br />
Wenngleich die Vielzahl der Kleinspenden<br />
das Bild sicherlich differenzierter erscheinen<br />
lässt, so kann sich aus den Aussagen<br />
der BI-Mitglieder doch abgelesen werden,<br />
dass sich ein ganz wesentlicher Teil der<br />
Gelder aus wenigen Großspenden von finanzstarken<br />
Einzelpersonen und Unternehmen<br />
aus Wesel und Umgebung zusammensetzt<br />
und die Bürgerinitiative zudem<br />
durch dauerhafte Zuwendungen und ehrenamtlichen<br />
Einsatz einer bildungsbürgerlichen<br />
Schicht getragen wird, deren<br />
Mitglieder häufig erst nach Wesel zugezogen<br />
sind. Mit Ausnahme weniger frühzeitig<br />
aktiver BI-Mitglieder waren die meisten<br />
gebürtigen Weseler zunächst skeptisch<br />
oder zumindest zurückhaltend. Aus ihren<br />
Reihen und insbesondere denjenigen unter<br />
ihnen, die sich sozial(-politisch) engagieren<br />
und insofern ihr wesentliches Augenmerk<br />
auf materielle Probleme der Stadt<br />
richten, stammen die wesentlichen Gegner<br />
des Wiederaufbauvorhabens (vgl. Ewert-<br />
Kruse/Schröder 28.9.2009, Hasibether/<br />
Berns 28.9.2009). Insofern lässt sich der<br />
Konflikt auch darstellen als die Durchsetzung<br />
von Partikularinteressen einer bürgerlichen<br />
Elite zu Lasten derjenigen, die<br />
auf das Funktionieren einer städtischen<br />
Solidargemeinschaft angewiesen sind. Dabei<br />
scheinen letztere diesen Konflikt nicht<br />
selber ausgetragen und möglicherweise<br />
noch nicht einmal wahrgenommen zu haben.<br />
Vielmehr wurde die Opposition vor<br />
allem durch Vertreter der sozial schwächer<br />
gestellten Teile der Stadtgesellschaft gebildet,<br />
die diese Aufgabe per Amt oder aus<br />
dem eigenen politischen Verständnis heraus<br />
wahrnehmen.<br />
Deutlich untergeordnet wurde in Wesel<br />
auch der allgemeine, der bundesweiten<br />
Rekonstruktionsdebatte immanente<br />
und letztlich moralische Konflikt um<br />
die Rechtmäßigkeit von Rekonstruktionen<br />
sowie den Dissens zum zeitgenössischen<br />
Bauen ausgetragen. Diese Auseinandersetzungen<br />
scheinen allerdings in der Weseler<br />
„Provinz“ nur deutlich abgeschwächt und<br />
in der teilweise verkürzten Wiedergabe<br />
bestehender und somit kaum ortsspezifischer<br />
Argumente stattgefunden zu haben.<br />
Letztlich fehlte hier offenbar auch eine<br />
ausreichend gut organisierte Gegenöffentlichkeit,<br />
da etwa dem Stadtplanungsamt<br />
nur bedingt eine freie Meinungsäußerung<br />
möglich war, die Architektenschaft<br />
offenbar nur in Form von Einzelpersonen<br />
handelte und die kritische Presse einerseits<br />
das bürgerschaftliche Engagement<br />
zur Kenntnis nehmen musste, und andererseits<br />
kaum zu einer ausführlichen eigenständigen<br />
Aufarbeitung in der Lage<br />
gewesen sein dürfte. So scheint es der Bürgerinitiative<br />
etwa gelungen zu sein, den<br />
Eindruck zu erwecken, „überall“ werde<br />
rekonstruiert und Wesel sei „provinziell“,<br />
wenn es diesem Trend nicht folgen würde<br />
(vgl. Ewert-Kruse/Schröder 28.9.2009).<br />
5.34 Rolle lokaler Bürgerinitiativen/<br />
Rolle der lokalen Bürgerinitiative<br />
Formen zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
Zentrale Institution des bürgerschaftlichen<br />
Engagements für den Wiederaufbau ist<br />
die Bürgerinitiative Historisches Rathaus<br />
Wesel e.V., die aus einem gleichnamigen<br />
„Freundeskreis“ entstanden ist und mittlerweile<br />
aus rechtlichen und finanziellen<br />
Gründen zudem eine Bürgerstiftung Historisches<br />
Rathaus Wesel ins Leben gerufen<br />
hat. Unterstützt wird sie mittlerweile durch<br />
eine Interessen-Standortgemeinschaft<br />
Domviertel, die insgesamt thematisch breiter<br />
aufgestellt sind und die ökonomische<br />
und baulich-gestalterische Entwicklung<br />
des umgebenden Teils der Innenstadt verfolgen.<br />
Eine bürgerschaftlich organisierte<br />
Opposition existiert in Wesel nicht.