PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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194 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
„kleinere Übel“ empfunden werde, und<br />
Schroth/Tesch (26.8.2009) verweisen auf<br />
die zurückhaltende Meinung vieler Leipziger<br />
Architekten. Für die im Streit möglicherweise<br />
gar nicht eindeutig positionierte<br />
Bevölkerung hingegen bietet der Bau nun<br />
in seiner Einzigartigkeit einen erheblichen<br />
Erlebniswert, der zudem – etwa durch die<br />
Organik der bewegten Dachlandschaften<br />
– den ästhetischen Geschmack vieler Menschen<br />
treffen mag. Er entspricht zudem<br />
dem populären Bedürfnis nach Distinktion<br />
(Richter 2009). Die öffentlich gewählten<br />
Entscheider– also Stadt und Land,<br />
nicht aber die Universität – haben den<br />
Entwurf entsprechend begrüßt, zumal er<br />
auch ihrem, von der Bevölkerung zum Teil<br />
mitgetragenen Repräsentationswillen entspricht.<br />
In gewisser Weise die Leidtragende<br />
dieser Entwicklung ist die Universität,<br />
die zunächst erhebliche Bedenken gegenüber<br />
der Nutzbarkeit hatte und diese nun<br />
zum Teil gegen den „Volkswillen“ (etwa repräsentiert<br />
in den Befragungen zur Glaswand,<br />
vgl. LVZ 13.10.2008) und entsprechend<br />
kompromissbereitere politische<br />
Verantwortliche durchsetzen musste.<br />
Der langwierige Prozess um die architektonische<br />
Gestaltung des Innenstadtcampus<br />
kann insofern als ein umfassendes<br />
Entwurfsverfahren angesehen werden,<br />
dessen – zunächst wohl gar nicht erkennbares<br />
– Ziel darin bestand, die angemessene<br />
und populäre Form des Erinnerns mit<br />
den Mitteln der Architektur zu finden. Dabei<br />
wurde von den wesentlichen Entscheidungsträgern<br />
von Anfang an die vom Paulinerverein<br />
mehr oder weniger deutlich<br />
geforderte Rekonstruktion entschieden abgelehnt<br />
– mit Ausnahme der Landesregierung<br />
ab 2002, wobei auch sie letztlich der<br />
Wettbewerbsauslobung ohne originalgetreuen<br />
Wiederaufbau zustimmte. Insofern<br />
ging es ganz wesentlich darum auszuloten,<br />
welche zeitgenössische Architektursprache<br />
dem Ort und den von der Bevölkerung<br />
und den im Paulinerverein versammelten<br />
„Betroffenen“ gerecht werden kann. Dass<br />
letztlich nach einem sehr aufwendigen,<br />
konfliktreichen Verfahren etwas realisiert<br />
wird, das den bereits 2002 formulierten<br />
Vorstellungen Gormsens (LVZ 30.12.2002,<br />
vgl. Gormsen 2003, ders. 10.9.2009, Koch/<br />
Koch 2006: 64–66) in erheblichem Maße<br />
entspricht, ist aus dessen Sicht wesentlich<br />
damit zu begründen, dass für die Verfech<br />
ter einer zeitgenössischen Lösung lange<br />
Zeit die Gleichung „Moderne ist Flachdach“<br />
galt, andererseits aber Flachdächer in der<br />
Bevölkerung – zumal nach der Diskussion<br />
um das Bildermuseum – nicht vermittelbar<br />
gewesen wären. Er verweist hier auf<br />
einen für ihn sehr guten Beitrag Bofingers<br />
zum ersten Realisierungswettbewerb, in<br />
dem dieser zum einen einen Spitzgiebel<br />
vorgesehen habe, zum anderen vor das damals<br />
noch nicht zum Abriss vorgesehene<br />
Universitätsgebäude eine bedruckte Glasfassade<br />
gestellt hatte, hinter die zudem erhaltene<br />
Fassadenreste angebracht worden<br />
wären. Hierfür erhielt er allerdings lediglich<br />
den fünften Platz.<br />
Entwicklung der politischen Kultur und<br />
des zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
Trotz eher negativer Bewertung des Prozessverlaufs<br />
unter dem Gesichtspunkt der<br />
lokalpolitischen Kultur (vgl. nachstehend<br />
im Detail) erscheint ein längerfristiger<br />
diesbezüglicher Schaden relativ unwahrscheinlich,<br />
da das Wiederaufbauvorhaben<br />
für die Stadtpolitik als zu unbedeutend<br />
eingeschätzt wird und die Akteure,<br />
die sich etwa in ihrem zivilgesellschaftlichen<br />
Engagement behindert sehen, über<br />
einen zu geringen Rückhalt in der Stadtgesellschaft<br />
zu verfügen scheinen. Da mittlerweile<br />
(Anfang 2003) mit dem Bürgerverein<br />
Johanniskirchturm e.V. in der Stadt<br />
eine weitere Wiederaufbauinitiative entstanden<br />
ist (www.johanniskirchturm.de),<br />
erscheint das Scheitern der Maximalforderung<br />
nach originalgetreuem Wiederaufbau<br />
und die anhaltende Nutzungsdiskussion<br />
zudem hier auch nicht abschreckend<br />
gewirkt haben.<br />
Das Potenzial zu Schuldzuweisungen<br />
und Verbitterung ist in jedem Fall gegeben,<br />
doch scheint es im Wesentlichen nur<br />
einzelne Individuen zu treffen, aber nicht<br />
stadtgesellschaftlich relevant zu sein. Dies<br />
ist insofern bemerkenswert, als in erheblichem<br />
Maße konstituierende Elemente des<br />
gesellschaftlichen Zusammenlebens übergangen<br />
wurden: Von der „Treuwidrigkeit“<br />
des Landes (Häuser 10.9.2009) über die unterschiedliche<br />
Interpretation des Harms-<br />
Kompromisses (vgl. Stötzner 28.8.2009)<br />
und die fehlende Beteiligung von Bürgern<br />
und Experten (Heymann 26.8.2009) bis<br />
hin zum Eindruck einer machtpolitisch