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56 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Pethes (2008: 83–93) weist auf die strukturierende<br />

Bedeutung von Raum und Zeit<br />

für das kollektive Gedächtnis hin. Wichtige<br />

Erinnerungen würden mit Markierungen<br />

im Kalender und auf der Landkarte<br />

verknüpft, um sie mithilfe dieser später<br />

wieder abrufen zu können. Im Kontext des<br />

Forschungsprojekts ist primär die Rolle<br />

von Räumen und Orten von Interesse: Sie<br />

gelten als weitestgehend stabil und werden<br />

daher als Schauplätze der Vergangenheit<br />

angesehen, die auch noch für die Gegenwart<br />

bedeutsam sind. Jan Assmann führt<br />

1992 den Begriff Mnemotop (= Gedächtnisort)<br />

ein, mit dem er Orte bezeichnet, die<br />

als Symbole der Gruppenidentität und Anhaltspunkte<br />

der Erinnerung dienen. Weiter<br />

schreibt er: „Das Gedächtnis braucht Orte,<br />

tendiert zur Verräumlichung“ (Assmann<br />

1992: 35, zit. n. Pethes 2008: 89). Gestaltete<br />

Räume und Bauwerke stellen somit auch<br />

ein „Abbild von Vorstellungen der sie errichtenden<br />

Gesellschaft“ (Martini 2000a: 9)<br />

und „Zeugnisse der eigenen oder angeeigneten<br />

kollektiven Vergangenheit, des kulturellen<br />

Gedächtnisses, und damit Teil der<br />

eigenen Identität“ (Martini 2000b: 15) dar,<br />

sind Träger von Inhalten und Gedanken<br />

und stellen auf diese Weise Beziehungen<br />

zwischen Vergangenheit, Gegenwart und<br />

Zukunft her. Sie machen eigene Erinnerungen<br />

abrufbar, Geschichte sinnlich erfahrbar<br />

und lenken dadurch das kollektive<br />

Gedächtnis (vgl. Assmann 2007: 218, Hornstein<br />

1998: 284, Speitkamp 2001: 161). Da<br />

mit solchen Gedächtnisorten Namen, Geschichten<br />

und Schicksale eng verbunden<br />

sind, erfährt Aleida Assmann (2007: 218)<br />

sie gar als „ein geheimnisvolles Tor in eine<br />

andere Welt“. Besonders Städte sind durch<br />

ihre zumeist lange Siedlungskontinuität<br />

ein „einzigartiges Erinnerungsdepot, das<br />

in der Regel das Gedächtnis einer einzelnen<br />

Nation, Rasse, Sprache weit übersteigt“<br />

(Bogdan Bogdanovic 1993: 22, zitiert nach<br />

Kenneweg 2009: 54).<br />

Es lassen sich mit Bezug auf die Annahme<br />

der – zumindest relativen – Stabilität von<br />

Räumen, die sich auf Arbeiten von Halbwachs<br />

und Luhmann gründet (vgl. Kenneweg<br />

2009: 38, Assmann 2007: 217–218)<br />

durchaus auch kritische Stimmen vernehmen:<br />

Pethes (2008: 92–92) betont die Auswirkungen<br />

des seit der Industrialisierung<br />

unablässigen und teilweise rapide vonstatten<br />

gehenden Wandel von Stadtbildern,<br />

der zusammen mit dem Städtewachstum<br />

und der Zunahme von „Nicht-Orten“ des<br />

transitorischen Aufenthalts auch eine gewisse<br />

Orientierungslosigkeit hervorbringt,<br />

an der die moderne wie die postmoderne<br />

Stadtarchitektur ihren Anteil haben. Kenneweg<br />

(2009: 38) wendet zudem ein, dass<br />

Orte nicht nur Stabilität, sondern auch<br />

mutwillige Zerstörung und Verfall, also<br />

geschichtliche Brüche abbilden; als offensichtliches<br />

Beispiel führt sie den Bombenkrieg<br />

der Jahre 1943 bis 1945 an.<br />

Siege und Niederlagen werden von jeher<br />

als zentrale historische Bezugspunkte angesehen,<br />

ebenso können beide – je nachdem,<br />

wie sie verarbeitet werden – zur Stärkung<br />

des nationalen Zusammenhalts und<br />

der gemeinsamen Identität herangezogen<br />

werden. Besonders schwere Niederlagen,<br />

denen im Regelfall auch erbitterte kriegerische<br />

Auseinandersetzungen vorausgehen,<br />

können aber auch nationale, also<br />

kollektive Traumata auslösen. Durch das<br />

gemeinsame Erleben des traumatischen<br />

Ereignisses werden auch die damit verbundenen<br />

Erinnerungen von allen oder<br />

zumindest den meisten Betroffenen unterdrückt;<br />

in der Psychologie nennt man<br />

diesen Vorgang Dissoziation. Es muss sich<br />

erst das gesellschaftliche und politische<br />

Umfeld ändern, in das die Traumatisierten<br />

eingebettet sind, damit ihre Erinnerungen<br />

in das soziale Gedächtnis übergehen können.<br />

Im Zusammenhang mit dem Zweiten<br />

Weltkrieg taucht dieser Begriff in den Gedächtnistheorien<br />

immer wieder auf, meist<br />

in Verbindung mit den Begriffen Opfer und<br />

Täter (vgl. Assmann 2007: 64–72 und 93–98,<br />

Giesen 388–394). Von Opfern und Tätern<br />

(und nicht einfach Gegnern) wird dann<br />

gesprochen, wenn es sich um eine extrem<br />

asymmetrische Beziehung handelt, welche<br />

die Opfer nur noch aushalten können,<br />

sie den Tätern aber nichts mehr entgegenzusetzen<br />

haben. Traumata können bei beiden<br />

Gruppen auftreten. Der Begriff des<br />

Tätertraumas, das nach einer vernichtenden<br />

Niederlage auftritt, ist jedoch umstritten,<br />

da die Täter im Gegensatz zu den Opfern<br />

mit vollem Bewusstsein handeln, sich<br />

entscheiden können. Ihr Trauma – wie das<br />

der Deutschen direkt nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs – besteht laut Aleida Assmann<br />

„in der schockartigen Konfrontation<br />

mit individueller Verantwortung und<br />

Gewissen“, „den ruckartig verschobenen

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