PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Fallstudien<br />
161<br />
Für den Paulinerverein bedeutete der<br />
ungewollt erzielte Kompromiss erneute<br />
Schwierigkeiten hinsichtlich der eigenen<br />
Zielsetzung, konnten sich doch einige<br />
auch prominente (Vorstands-)Mitglieder<br />
sehr gut mit der gefundenen Lösung abfinden.<br />
So nannte der amtierende Vereinsvorsitzende<br />
die Dachlandschaft van Egeraats<br />
„spannender als die ursprüngliche<br />
Fassade Rossbachs“ (zit. in LVZ 26.3.2004<br />
und 25.8.2004) und befand, der Verein<br />
habe „sein ‚Hauptziel‘ erreicht: eine gosches<br />
Gremium in Leipzig deutlich für einen<br />
Wiederaufbau.<br />
Im Januar 2003 kam es zum Bruch der<br />
Landesregierung mit Stadt und Universität.<br />
Gut ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden<br />
von Ministerpräsident Biedenkopf,<br />
vor allem aber nach intensiven<br />
Gesprächen durch Blobel, unterstützte das<br />
Kabinett nun einen originalgetreuen Wiederaufbau<br />
der Paulinerkirche, was sofort<br />
zu heftigen Reaktionen in Leipzig führt:<br />
Am 30. Januar trat der Rektor der Universität,<br />
einen Tag später die Prorektoren zurück,<br />
da sie sich von der Regierung übergangen<br />
sahen. Leipzigs Oberbürgermeister<br />
Wolfgang Tiefensee (SPD) sprach angesichts<br />
der Kabinettsentscheidung von einem<br />
„schwarzen Tag“ für die Stadt, während<br />
der Landtagsabgeordnete Cornelius<br />
Weiss gar eine „Christianisierung auf kaltem<br />
Wege“ sah (vgl. Koch/Koch 2006: 12).<br />
In einem Schlichtungsgespräch zwischen<br />
Vertretern des Landes, der Stadt und der<br />
Universität wurde ein Kompromissvorschlag<br />
erarbeitet, der als Überarbeitung<br />
des preisgekrönten Wettbewerbsentwurfs<br />
ein an die Kirche erinnerndes Gebäude<br />
mit modern gestalteter Aula beinhaltete.<br />
Im Anschluss wurden auf unterschiedlichen<br />
Ebenen Befürworter und Gegner mobilisiert.<br />
Gerade in diesem entscheidenden<br />
Moment gab es erneut Differenzen innerhalb<br />
des Pauliner-Vorstandes, wobei eine<br />
Gruppe so weit ging, eine zeitgenössische<br />
Paulinerkirche zum Vereinsziel erklären<br />
zu wollen. Als schließlich die Universität<br />
im August 2003 erklärte, eine originalgetreue<br />
Wiederherstellung sei nach den Verhandlungen<br />
mit der Landesregierung<br />
ausgeschlossen, gab es durch den Vereinsvorstand<br />
keinerlei Stellungnahme (Koch/<br />
Koch 2006: 13). Schließlich einigten sich<br />
Land, Stadt und Universität auf ein Qualifizierungsverfahren,<br />
in dem aufbauend<br />
auf dem alten Ergebnis die Ausführung der<br />
Aula bzw. Kirche im Detail geklärt werden<br />
sollte. Sowohl eine Neuinterpretation als<br />
auch eine Orientierung am historischen<br />
Erscheinungsbild sollten zulässig sein.<br />
Friedrich (2004) geht davon aus, dass der<br />
Wettbewerb unter dem Eindruck einer rekonstruktionsfreundlichen<br />
Stimmung in<br />
der Stadt stand und es deshalb innerhalb<br />
der zweiten Phase zu Überarbeitungen gekommen<br />
sei, um die „Entwürfe ein biss<br />
chen mehr ‚auf Kirche‘ [zu trimmen]“. Er<br />
kritisiert zudem die Zusammensetzung<br />
der Jury mit nur zwei freien Architekten<br />
und die Indiskretion durch die Vertreterin<br />
des Paulinervereins. Sie hatte die Ergebnisse<br />
der ersten Wettbewerbsphase mitsamt<br />
Abbildungen an die Presse weitergeleitet,<br />
die daraufhin zu Abstimmungen<br />
aufrief. (Koch/Koch 2006: 13) Während die<br />
Bild auch einen originalgetreuen Wiederaufbau<br />
und den ausgeschiedenen Kollhoff-<br />
Entwurf zur Abstimmung stellte, ergab die<br />
Wahl der LVZ zwischen den vier in Überarbeitung<br />
befindlichen Beiträgen eine<br />
eindeutige Mehrheit für den betont zitierenden,<br />
zugleich aber auch eindeutig zeitgenössischen<br />
Entwurf des Niederländers<br />
Erick van Egeraaat. Dies führte zu keinerlei<br />
Konsequenzen seitens des Auslobers,<br />
wohl aber zum Rücktritt einer Architektin<br />
und eines Architekten aus der Jury, die damit<br />
gegen den Bruch der Wettbewerbsregeln<br />
und die fehlende Resonanz des Veranstalters<br />
protestierten (Quester 25.8.2009).<br />
Der populäre Egeraat-Entwurf wurde, obwohl<br />
in der ersten Runde beinahe ausgeschieden,<br />
mit einer Mehrheit von zehn der<br />
13 verbliebenen Jurymitglieder zum Sieger<br />
erklärt und die Auswahl von Presse und<br />
Politik als Durchbruch gefeiert, da er sowohl<br />
die Repräsentationsbedürfnisse der<br />
Universität als auch die Erinnerung an die<br />
Paulinerkirche berücksichtigte und dafür<br />
im äußeren wie inneren Erscheinungsbild<br />
starke Anleihen an der Kirche nahm. Die<br />
später vorgetragene Meinung, im Inneren<br />
habe Egeraat einen originalgetreuen Wiederaufbau<br />
vorgeschlagen, sind hingegen<br />
nicht richtig (vgl. Engmann 2008: 86), da<br />
hier insbesondere die Materialwahl nicht<br />
dem Original entsprach. Von der Architekturkritik<br />
wurde der Entwurf zum Teil als<br />
„Spektakel […] mit eingebautem Verfallsdatum“<br />
(Jaeger 2004) abgetan.