PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die aktuelle Fachdebatte – Tendenzen eines inter- und transdisziplinären Diskurses<br />
277<br />
sollte nicht verwun dern, dass um sie gerungen<br />
wird, wenn es im Einzelfall „ernst<br />
wird“. Hieraus ist nicht abzuleiten, dass<br />
die gesamte Gesellschaft zu begeisterten<br />
Denkmalschützern geworden wäre. Ein<br />
Stück weit Relativierung des Alarmismus<br />
ist allerdings doch angebracht, was die<br />
Zukunftsfähigkeit unserer Denkmalpflege<br />
anbetrifft.<br />
Vor diesem Hintergrund stellt die von Sauerländer<br />
(1975) vorweggenommene Frage<br />
nach einer Ergänzung der Denkmalfunktionen,<br />
die von Rüsch (2001) systematisch<br />
weiter gedacht wird, einen konsequenten<br />
Denkansatz dar, ohne damit die Grundsätze<br />
der wissenschaftlichen Denkmalpflege<br />
über den Haufen zu wer fen:<br />
„Wo die pathetische Überhöhung des Originals<br />
fragwürdig wird, da entdeckt man,<br />
dass Zeichen, Erinnerungen aus der Vergangenheit<br />
auch im Bereich des Sichtbaren<br />
revoziert, wieder aufgerufen werden<br />
können. Verstehen Sie mich recht, in der<br />
Praxis wird die Denkmalkopie immer die<br />
seltene Ausnahme bleiben, aber das Pathos,<br />
welches sie als schlechthin unwahrhaftig<br />
ablehnt, klingt heute hohler und<br />
musealer als 1950. Reproduzierbarkeit jagt<br />
uns keinen Schauder mehr ein.“ (Sauerländer<br />
1975).<br />
Eine wohl über das Ziel hinausschießende<br />
diesbezügliche Positionierung zeigt<br />
sich in den oben geschilderten Stellungnahmen<br />
von Stefan Hertzig zum Verhältnis<br />
von Denkmalpflege und Rekonstruktionsvorhaben<br />
bzw. der Infragestellung<br />
des Authentizitätsparadigmas. Nichtsdestoweniger<br />
geht eine derartige Relativierung<br />
ansatzweise mit den Überlegungen<br />
konform, die Eingang in die Nara-Deklaration<br />
gefunden haben.<br />
Waren es bei Sauerländer noch Fragen<br />
der Reproduzierbarkeit von Originalen,<br />
die sich unausweichlich auf das denkmalpflegerische<br />
Selbstverständnis niederzuschlagen<br />
schienen, so werden diese<br />
heute ergänzt durch die Folgen der Wiedervereinigung,<br />
die offenbar – ob man<br />
das kritisieren mag oder nicht – vielerorts<br />
eine „Normalisierung“ des deutschen Geschichtsbilds<br />
einfordern. So fordert Mausbach<br />
(2009) im Zuge der deutschen Einigung<br />
auch die Schaffung von Symbolen,<br />
die die Überwindung der deutschen Teilung<br />
und des damit einhergehen den Pro<br />
visoriums zu fordern scheinen. Die Geschichtsmeile<br />
Unter den Linden scheint<br />
sich für derartige Symbole anzubieten,<br />
ausgehend vom Brandenburger Tor als<br />
eingängigem Schauplatz der Einigung und<br />
vergleichsweise unverdächti gem Symbol<br />
des (nach Krieg und Teilung geläuterten,<br />
aber in dieser Brechung dennoch offenbar<br />
zulässigen) neuen Nationalstolzes, gerade<br />
angesichts der symbolhaften Verankerung<br />
des Erinnerns im nahe gelegenen Holoocaust-Mahnmal.<br />
Dass Mausbach in dieser<br />
Logik konstatiert, der Wiederaufbau des<br />
Schlosses stelle nicht nur die Schließung<br />
einer Baulücke, sondern auch die „Schließung<br />
einer Geschichtslücke“ dar, ist eine<br />
mögliche Interpretation des Umgangs mit<br />
nationaler Identität und verändertem Geschichtsbild,<br />
die allerdings auch dann<br />
nicht automatisch folgerichtig ist, wenn<br />
man sich auf die Vorstellung von einer<br />
„Normalisierung“ des deutschen Verhältnisses<br />
zur Geschichte nach der Vereinigung<br />
einlässt. Die dieser Vorstellung inhärente<br />
Haltung, man möge doch bitte nicht<br />
zu viel an Krieg und Teilung leiden müssen<br />
und könne sich zu diesem Behufe das<br />
Schloss neu schaffen, hat sich überhaupt<br />
noch nicht ernsthaft darauf eingelassen,<br />
welche Möglichkeiten zeitgenössische<br />
Symbolproduktion hätte und wie sie sich<br />
architektonisch zu dem Bestehenden an<br />
Museumsinsel und Unter den Linden verhalten<br />
würde – der Wiederaufbau als restauratives<br />
Risikovermei dungsprogramm.<br />
Die oben dargestellte Debatte um den<br />
Stella-Entwurf für das Stadtschloss macht<br />
deutlich, dass selbst zu einem Zeitpunkt,<br />
wo die Entscheidung für einen Wiederaufbau<br />
gefallen war, noch Spielräume für einen<br />
kreativeren Umgang mit der Situation<br />
vor Ort bestanden hätten.<br />
Man ist versucht, die Rekonstruktionswelle<br />
vor dem Hintergrund dieser bisweilen<br />
verschenkten Möglichkeiten resignierend<br />
als Ausweis der Mutlosigkeit zu deuten.<br />
Das würde allerdings die Vielschichtigkeit<br />
der vor Ort vorfindbaren Situationen<br />
falsch interpretieren. Wohl zeigt sich an<br />
einigen bedeutenden Rekonstruktionsvorhaben,<br />
wie wenig die denkmalpflegerische<br />
Position der Charta von Venedig gesamtgesellschaftlich<br />
verfängt, wenn es um repräsentative<br />
Räume im historischen Umfeld<br />
geht, die durch Kriegszerstörung arg gelitten<br />
haben. An anderer Stelle zeigen sich