PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
35<br />
vertraut bzw. wie eine „Verschnaufpause“<br />
(Schivelbusch 1973: 276, zit. n. Fischer<br />
1980: 248, vgl. auch Creutz 2006: 5), da sie<br />
schon einmal kognitiv verarbeitet wurden.<br />
Eine zweite Dimension nennt Fischer interessenpolitisch/historisch-politisch.<br />
In ihr<br />
wird die Entpolitisierung der Gesellschaft<br />
als dominante Wirkung von Nostalgie gesehen.<br />
Enttäuscht davon, dass sich die Versprechen<br />
auf unaufhörlichen Fortschritt<br />
und Wachstum nicht erfüllt haben, kämpft<br />
der Nostalgiker jedoch nicht für einen alternativen<br />
Gesellschaftsentwurf, sondern<br />
zieht sich aus Angst vor der Zukunft in einen<br />
„‚kleinbürgerlichen‘ Anarchismus“<br />
(Fischer 1980: 252) zurück, in dem konservative<br />
Positionen wieder stärker vertreten<br />
werden. Dieses Phänomen gilt auch für die<br />
Architektur. So habe das „Scheitern der<br />
Moderne“ nicht zu „einer inneren Bereitschaft<br />
geführt, über architektonische Fragestellungen<br />
nachzudenken“ (Kahlfeldt<br />
2006: 35). Indizien hierfür sind die Hinwendung<br />
zu einer neuen „romantischen“<br />
Innerlichkeit und Religiosität, aber auch<br />
eine Aufwertung von Denkmalpflege und<br />
Naturschutz (vgl. Fischer 1980: 250–255,<br />
Spiegel 1973). Ein drittes Deutungsangebot<br />
ist mit der Überschrift sozioökonomischindustriegesellschaftlich<br />
zu fassen und<br />
verweist vor allem auf die notwendige ökonomische<br />
Grundlage von Kitsch- und Nostalgiekonsum<br />
(vgl. Fischer 1980: 255–257).<br />
Nach dieser Interpretation wird durch die<br />
Nostalgisierung das Warenangebot gewissermaßen<br />
„naturalisiert“, unschuldiger gemacht,<br />
so dass sein Konsum automatisch<br />
auch gewisse moralische Qualitäten unterstellt.<br />
Die Verbindung eines gefühlten<br />
psychischen Defizits durch die moderne<br />
Waren- und Erlebniswelt und seinem modischen<br />
Ausdruck ist hier besonders stark.<br />
Nostalgie- und Kitsch-Objekte werden zu<br />
„Boutiquen-Version[en] von Grundfragen“<br />
(Gerhard 1978: 50, zit. n. Fischer 1980: 255).<br />
Als vierte und letzte Deutung soll hier die<br />
geschichtsphilosophisch-historische zur<br />
Sprache kommen. Hier wird Geschichte<br />
als „Reservat und Reservoire [sic] für individualistische<br />
Sublimierungswünsche“<br />
(Fischer 1980: 258) betrachtet. Als solche<br />
ist sie kein Erfahrungspool, aus dem Lehren<br />
für die heutige Zeit gezogen werden<br />
können, sondern wird an die augenblicklichen<br />
Bedürfnisse angepasst. Der Nostalgiker<br />
ist zwar irritiert von der Gegenwart,<br />
reflektiert die Vergangenheit aber nicht<br />
kritisch und integriert sie auch nicht bewusst<br />
in die Jetzt-Zeit. Tradition und allgemein<br />
„das Alte“ sind damit ein Teil (von<br />
mehreren) der modernen Erlebnisvielfalt.<br />
Laut Moles (1971: 22, 78–79) hat Kitsch bisher<br />
zwei Kulminationspunkte erlebt: Erstens<br />
die erwähnte Durchsetzung des Bürgertums<br />
und zweitens die Entstehung der<br />
Überflussgesellschaft. In jeder Gesellschaft,<br />
in der die vorhandenen ökonomischen<br />
Mittel die Bedürfnisse überschritten,<br />
sei die Produktion von Kitsch das unausweichliche<br />
Ergebnis. Dabei könne alles<br />
– „visuelle Kunst, Malerei, Bildhauerei, Literatur,<br />
der gesamte gegenständlich-alltägliche<br />
Bereich, Musik, Architektur usw.“<br />
(1971: 9) als „Kitschträger“ fungieren. Eine<br />
neue Beziehung zu den Dingen habe sich<br />
entwickelt, in der diese nicht mehr über<br />
ihre Funktionalität beurteilt würden und<br />
im Konsum möglichst voraussetzungslos<br />
die „permanente Suche nach dem Vergnügen“<br />
(1971: 164) im Vordergrund stehe.<br />
Rapsch (1985: 63) greift eine Vermutung<br />
von Mongardini auf und geht sogar davon<br />
aus, dass eine Gesellschaft auch umso<br />
mehr Kitsch hervorbringe, je rationaler sie<br />
sich organisiere: „[M]it der ‚reinen‘ Information<br />
[wird] die Kitschgesellschaft erst<br />
entstehen [...], weil die Menschen Objekte,<br />
Dinge brauchen, an die sie sich klammern<br />
können“. Kitsch erfüllt dieses Bedürfnis,<br />
er gleicht emotionale Defizite aus, ermöglicht<br />
eine kurzzeitige Flucht aus der Realität,<br />
und regt nicht zu sehr zu Reflexion an<br />
(vgl. Mongardini 1985: 83–94). Dadurch,<br />
dass er sich Stilmitteln aus verschiedenen<br />
Epochen bedient, wird im Kitsch „die historische<br />
Entwicklung zur Gegenwart reduziert;<br />
das Geschichtsbewusstsein [sic]<br />
nimmt in dem gleichen Maße ab wie die<br />
Fähigkeit die Zukunft zu denken und zu<br />
gestalten“ (Mongardini 1985: 90). Beuge<br />
sich der Designer oder Künstler dem dadurch<br />
entstehenden gesellschaftlichen<br />
Druck, verzichte er auf die Möglichkeit,<br />
mit seinen Entwürfen die Gesellschaft zu<br />
verändern (vgl. Moles 1971; 217–219).<br />
Im Bereich der Architektur werden für verschiedene<br />
Stile und Gebäudearten Kitschtendenzen<br />
ausgemacht (vgl. Klotz 1977).<br />
Diese seien das Resultat einer „Formenarmut<br />
der modernen Architektur“ (Klotz<br />
1977: 8), „Ergebnis einer Ausdruckssuche“