PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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260 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
tigkeit denkmalpflegerischer Strategien, in<br />
der die Nachahmung eines vollständigen<br />
Gebäudes ein Ende eines kontinuierlich<br />
besetzten Spektrums darstellt. Offenbar<br />
fehlt aber in dieser fachlichen Betrachtungsweise<br />
eine offene Auseinandersetzung<br />
mit der von Schäche implizit aufgeworfenen<br />
Frage, wie denn das Verhältnis<br />
zwischen Architektur, Denkmalpflege<br />
und allen anderen Bereichen der Gesellschaft<br />
sinnvoll ausgestaltet werden könnte.<br />
Es mutet ja auf der einen Seite durchaus<br />
merkwürdig an, wenn sich der Mediziner<br />
Günter Blobel vehement in die Frage einer<br />
Rekonstruktion der Paulinerkirche in<br />
Leipzig einbringt, auf der anderen Seite<br />
aber vermutlich eine Untergrabung seiner<br />
eigenen fachlichen Autorität als Mediziner<br />
durch einen Nichtmediziner weit von sich<br />
weisen würde. Die sich hier zeigende Natur<br />
von Entscheidungen über Bauvorhaben<br />
als kultureller Aushandlungsprozess<br />
und die darin Fachleuten zugeschriebenen<br />
Rollen beschäftigen die Architektur-,<br />
Planungs- und Kulturwissenschaften weit<br />
über Rekonstruk tionsvorhaben hinaus auf<br />
so grundsätzliche Weise, dass an dieser<br />
Stelle nur auf das darin bestehende Defizit<br />
an tragfähiger Orientierung hingewiesen<br />
werden kann.<br />
Die Kritik an dem Authentizitätsbegriff,<br />
wie ihn die Denkmalpflege verwendet, ist<br />
mittlerweile relativ breit angelegt. Dabei<br />
scheinen sich auch Positionen einzelner<br />
Vertreter eine starken Denkmalpflege zu<br />
verändern. So formuliert der Architekturkritiker<br />
Wolfgang Pehnt (2008) in einem<br />
Interview fünf Kriterien für Rekonstruktionsvorhaben,<br />
die er damit indirekt billigt:<br />
Vorhandensein zuverlässiger Baupläne,<br />
Bau am selben Standort, Verschonung<br />
des Standortes von Entwicklungen seit<br />
Zerstörung bzw. Verfall, Vorhandensein<br />
von ausreichend historischer Bausubstanz<br />
sowie die verträgliche Nutzung im Sinne<br />
des Charakters des Gebäudes. Mit diesem<br />
Vorstoß werden nach Pehnts Auffassung<br />
die wissenschaftlichen Grundsätze gewahrt,<br />
ohne allerdings eine Rekonstruktion<br />
mit dem Argument der Authentizität<br />
auszuschließen. Hieran lassen sich ebenfalls<br />
Anknüpfungspunkte an die aktuelle<br />
kritische Fachdebatte knüpfen. In der<br />
Praxis erscheint dies allerdings kaum<br />
handhabbar, wenn man die Entwicklung<br />
der europäischen Stadt nach dem Zwei<br />
ten Weltkrieg betrachtet. Allein die Unversehrtheit<br />
eines Standortes kann kaum vorausgesetzt<br />
werden.<br />
Viele konsensorientierte Positionen versuchen<br />
daher einen Argumentationsansatz,<br />
der die kontroversen Positionen zusammenführt.<br />
„Gerade weil die Denkmalpflege<br />
keine grundsätzlich objektive Wissenschaft<br />
sein kann und das Denkmal kein in<br />
sich abgeschlossenes, musealisiertes Exponat,<br />
gerade deshalb ist sie ja so wertvoll.<br />
Weil sie keine Fix- und Fertig-Antworten<br />
verheißt, keine endgültigen Antworten<br />
parat hält, sondern immer wieder zu Fragen<br />
einlädt (Rauterberg 2002: 35).“ Diese<br />
relativierende Behauptung gegenüber der<br />
Denkmalpflege scheint auch ihre Berechtigung<br />
zu haben. Denn Rauterberg (2002: 34)<br />
argumentiert, dass Denkmalschützer die<br />
Wirklichkeit berührten, „ja, sie verändern<br />
sie, sie können ihren Schutzbefohlenen,<br />
die Denkmale, nicht aus der Zeit herausnehmen,<br />
sondern sind gezwungen, Veränderungen<br />
an diesen mit zu gestalten oder<br />
zumindest mitzuverantworten.“ „Wegweisende<br />
Ansätze dazu sind durchaus vorhanden,<br />
etwa wenn wir die Authentizität eines<br />
Denkmals als historische Konkretisation<br />
verstehen, was bedeutet, dass ein Denkmal<br />
zu verschiedenen Zeiten verschiedene<br />
Authentizitäten hat, dass also Differenzierungen<br />
nicht nur zwischen den Kulturen<br />
und Traditionen notwendig sind, sondern<br />
auch innerhalb einer Kultur, und dass Authentizität<br />
bzw. Identität dem Wandel unterworfen<br />
ist, [...] oder gar, dass Authentizität<br />
Wandel und Veränderung ist, dass<br />
Wandel als ihr wesenhafter Bestandteil zu<br />
betrachten ist (Seidenspinner 2007b: 3)“<br />
Stefan Hertzig äußert in einem Beitrag<br />
zum Symposium „Nachdenken über<br />
Denkmalpflege“ von „Zwiebelschalen der<br />
Geschichtlichkeit“: „Die Denkmale dürfen<br />
nicht nur als reine Geschichtsdenkmale<br />
betrachtet, sondern genauso sehr auch als<br />
– häufig emotionsbeladene – Zeugnisse der<br />
Kunst und Kultur einer Stadt oder eines<br />
Landes gesehen werden.“ (Hertzig 2002: 1)<br />
Gerade die Veranstaltung „Das Prinzip Rekonstruktion“<br />
und die Symposien „Nachdenken<br />
über Denkmalpflege“ haben in<br />
diesem Zusammenhang Denkanstöße gegeben<br />
und eine veränderte Positionierung<br />
in Teilen der denkmalpflegerischen Praxis<br />
erkennen lassen.