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Die aktuelle Fachdebatte – Tendenzen eines inter- und transdisziplinären Diskurses<br />
251<br />
Wo unter Architekten die vermeintliche<br />
Kompromisslosigkeit in der Ausdeutung<br />
des Authentizitätsbegriffs kritisiert<br />
wird, deuten Rekonstruktionsbefürwortern<br />
diesen auf ihre Weise um. Dabei geht<br />
es offenbar nicht so sehr um die historisch<br />
nachgewiesene Originalität, sondern vielmehr<br />
um einen emotionalen Wert, den es<br />
bei der Rekonstruktion eines verschwundenen<br />
Denkmals oder Ensembles wiederherzustellen<br />
gelte. Das damit zusammenhängende<br />
implizite Verständnis von<br />
Authentizität ist allerdings nicht weniger<br />
uneindeutig als der oben kritisierte: „[Der<br />
Laie] verlässt sich auf die Atmosphäre, auf<br />
sein Gespür für Stimmungen. Und für diese<br />
Stimmung, in die er vom Denkmal versetzt<br />
werden möchte, ist das Original hinreichend,<br />
doch nicht zwingend. Es kann<br />
auch gern die Replik, die Rekonstruktion<br />
sein – der Unterschied zwischen Fakt und<br />
Fiktion zählt nicht mehr. [...] Wenn weder<br />
der Laie [...] das unverfälschte Baudenkmal<br />
wirklich brauch[t], dann bleibt am<br />
Ende nur der Denkmalschützer, für den<br />
Authentizität als unentbehrlicher Wert erscheint.“<br />
(Rauterberg 2002: 34) Für Rauterberg<br />
sind diese Gedanken eine mögliche<br />
Argumentation, die eine Rekonstruktion<br />
legitimieren könnte. In Bezug auf dieses<br />
Zitat ist darauf hinzuweisen, dass Rauterberg<br />
dem Architekten – als dem Vertreter<br />
einer bestimmten fachlichen, denkmalpflegerischen<br />
Profession – die Betonung<br />
der Notwendigkeit des Originals zur Erzeugung<br />
dieser Empfindungen zuspricht.<br />
Die gesellschaftlichen Prozesse, die Rauterberg<br />
als Empfindungen von Laien betitutionen<br />
sah keine Notwendigkeit, die<br />
zunächst wenigen Vorhaben mit einer expliziten<br />
Bearbeitung zu bedenken und die<br />
für sie selbstverständlich kritische Haltung<br />
näher zu begründen oder gar zu diskutieren.<br />
Dies blieb offenbar den Praktikern<br />
vor Ort überlassen, da trotz der Konjunktur<br />
Wiederherstellung „kein vorrangiges<br />
Thema“ (Hansen 2008: 5) war, weil Rekonstruktionsvorhaben<br />
entweder ein „Tabu“<br />
(Kerkhoff 2008: 47) darstellten oder gar als<br />
„Feind jeder Denkmalpflege [… betrachtet<br />
wurden], da sie die völlige Verfügung alles<br />
Gewesenen suggerieren“ (Hansen 2008: 6;<br />
vgl. Meier 2006: 170).<br />
Abgeleitet aus den alten und neuen Fundamenten<br />
der Disziplin verfestigt sich hier<br />
die meist kategorisch ablehnende Haltung<br />
der Denkmalpflege zur Rekonstruktion,<br />
wie sie zu einem Großteil bis heute besteht.<br />
Hanno Rauterberg schreibt in seinem Essay<br />
„Authentizität“: „Aber gerade das Unverfügbare,<br />
das Einzigartige und Nichtwiederholbare<br />
ist das größte Kapital der<br />
Denkmalschützer (Rautenberg 2002: 34).“<br />
Er verdeutlicht damit die Argumentation<br />
der Denkmalpflege, dass durch Wiederaufbau,<br />
Rekonstruktionen oder Neohistorismen<br />
eine völlige Verfügbarkeit alles Gewesenen<br />
ermöglicht würde. Dr. Christoph<br />
Mohr, Landeskonservator vom Landesamt<br />
für Denkmalpflege, formulierte diesbezüglich<br />
in der Veranstaltung „Rekonstruktionismus<br />
– was tun“: „Alles scheint<br />
rekonstruierbar, wie der aufbaubar. Eine<br />
Wiederherstellung einer historischen Aura.<br />
Aber nicht authentisch.“ Und bezeichnete<br />
die Denkmalpflege als „Taliban der Rekonstruktion“.<br />
Rekonstruktionskritiker<br />
bestärken dies mit Begriffen wie Inszenierung,<br />
Kulisse, Attrappe, Scheinaltertum<br />
oder Fassadismus (vgl. Seidenspinner<br />
2007a: 4). Schon aus dem eigenen Legitimationszwang<br />
heraus ist damit die Positionierung<br />
der Denkmalpflege klar. „Die<br />
Denkmalpflege, will sie an ihrem genuinen<br />
Auftrag festhalten, will sie eine moralische<br />
Instanz bleiben und nicht einfach zu den<br />
Animateuren überlaufen, kann nicht anders,<br />
als an dem fiktiven Postulat der Authentizität<br />
festzuhalten“ (Willibald Sauerländer<br />
zitiert in Seidenspinner 2007a: 3).<br />
Selbst in Architektenkreisen wird die Besetzung<br />
des Begriffs Authentizität durch<br />
die Denkmalpflege und die einschlägigen<br />
(europäisch geprägten) Dokumente bisweilen<br />
kritisiert: „Hinzu kamen die Vorschriften,<br />
die keinen Kompromiss mehr<br />
zwischen Erhalt und Nutzung kennen, seit<br />
das historisch Authentische zum Kult erhoben<br />
wurde. [...] Deshalb ist auch die Objektivität<br />
des historischen Arguments oft<br />
trügerisch, denn was wäre im denkmalpflegerischen<br />
Zweifelsfall authentischer<br />
– das mittelalterliche Fachwerk oder der<br />
barocke Putz, den das 18. Jahrhundert darüber<br />
gelegt hat“ (Jessen 2007) Es stellt<br />
sich also die Frage nach dem Zeitpunkt<br />
der Authentizität eines Objektes bzw. nach<br />
der wissenschaftlichen Legitimation der<br />
Denkmalpflege, die sich gegen die Absolutheit<br />
dieses Authentizitätsbegriffes richtet.