PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Fallstudien<br />
165<br />
• Die externe Unterstützung durch Prominente<br />
und Auswärtige – wenngleich<br />
nicht genannt, wohl auch der Landesse<br />
geben zwar ein uneindeutiges Bild wieder,<br />
die darin angedeuteten Trends scheinen<br />
aber gut zu sonstigen Interpretationen<br />
des Prozessverlaufs zu passen. Eine erste<br />
Telefonumfrage Mitte 2001 bringt eine<br />
knappe Mehrheit (52 Prozent zu 48 Prozent<br />
für einen originalgetreuen Wiederaufbau<br />
(LVZ 12.7.2001). In einer zweiten<br />
Telefonumfrage (LVZ 8.8.2002) sind aber<br />
nur ein Drittel dafür (34 Prozent zu 66 Prozent).<br />
In einer Befragung des Instituts für<br />
Marktforschung Leipzig spricht sich im<br />
Jahr 2002 nur eine Minderheit (39 Prozent<br />
bei 56 Prozent Gegnern) für einen Wiederaufbau<br />
aus. Interessanterweise sind vor allem<br />
jüngere Befragte mehrheitlich für den<br />
Wiederaufbau (Leipziger Volkszeitung vom<br />
05.11.2002). Anfang 2003 stellen sich sogar<br />
über 7 6Prozent der Befragten gegen einen<br />
Kabinettsbeschluss des Landes Sachsen<br />
zum Wiederaufbau (LVZ 31.1.2003, Universität<br />
Leipzig 2008: 10). Nach der Veröffentlichung<br />
der Beiträge des zweiten Wettbewerbs<br />
Anfang 2004 führen gleich drei<br />
Medien unterschiedlich gelagerte Umfragen<br />
durch. Bei einer Anrufaktion der Bild-<br />
Zeitung am 13.2.2004 findet sich eine 89-<br />
Prozent-Mehrheit für einen Wiederaufbau<br />
der Paulinerkirche, von der 59,5 Prozent<br />
zudem auch das Augusteum wiedererrichtet<br />
sehen wollen. Es folgen die Entwürfe<br />
von Kollhoff (29,5 Prozent), der zu diesem<br />
Zeitpunkt bereits ausgeschieden war, und<br />
erst mit deutlichem Abstand der van Egeraats<br />
(7,4 Prozent). Wesentlich stärker war<br />
allerdings die Wirkung einer Online-Abstimmung<br />
der LVZ am 12.2.2004, bei der<br />
sich die Leser nur zwischen den vier Entwürfen<br />
entscheiden konnten, die in die<br />
zweite Runde gekommen waren. Immerhin<br />
37 Prozent votierten daher noch für<br />
keinen der vier, fast die Hälfte, 47 Prozent,<br />
allerdings für Egeraat mit entsprechend<br />
großem Vorsprung vor Merz (6,5 Prozent),<br />
Behet + Bondzio (5,5 Prozent) und Kulka<br />
(2 Prozent). Gerade die LVZ-Abstimmung<br />
verstärkt den oben bereits erwähnten Vorwurf<br />
eines fingierten Volksvotums, das<br />
wenn nicht mit Wissen der Jury, so doch<br />
mit dem Wohlwollen der Staatsregierung<br />
durchgeführt wurde (Stötzner 28.8.2009,<br />
Gormsen 10.9.2009, Häuser 10.9.2009).<br />
Stötzner (28.8.2009) weist darauf hin, dass<br />
in TED-Umfragen zur Glaswand sich jeweils<br />
deutliche Mehrheiten von rund siebzig<br />
Prozent gegen die Glaswand und damit<br />
für die Position des Vereins ausgesprochen<br />
hätten (vgl. LVZ 13.10.2008).<br />
Interessant auch das Ergebnis einer Online-Abstimmung<br />
des MDR: Danach<br />
stimmten 84 Prozent der Teilnehmer für<br />
eine stärkere Beteiligung der Leipziger<br />
Bürger an der Entscheidung über die bauliche<br />
Gestaltung des Innenstadtcampus.<br />
(vgl. insg. www.paulinerkirche.de) Allerdings<br />
zeigt sich insgesamt, dass die Leipziger<br />
tatsächlich nur dann beteiligten, wenn<br />
sie – etwa durch die Presse – dazu aufgefordert<br />
wurden (Heymann 26.8.2009).<br />
Ausführlich beschäftigt sich Richter (2009)<br />
mit der Haltung der Bevölkerung zum Wiederaufbau<br />
der Paulinerkirche. Er geht davon<br />
aus, dass die Leipziger zunächst ein relativ<br />
geringes Interesse an der „Erinnerung<br />
an ihr kulturelles Erbe“, wie er es nennt,<br />
hatten. Trotz – bzw. möglicherweise auch<br />
wegen – des erheblichen medialen Interesses<br />
und des Einsatzes „auswärtiger Eliten“<br />
könne die Leipziger Wiederaufbauinitiative<br />
nicht als Massenveranstaltung angesehen<br />
werden. Im Gegensatz zum Frauenkirchenverein<br />
mit 3 800 Mitgliedern zählte<br />
der Paulinerverein 1995 lediglich zweihundert<br />
– nach Angaben Stötzners (28.8.2009)<br />
drei- und in der Hochphase der Auseinandersetzung<br />
vierhundert. Verschiedene<br />
Umfragen zur Thematik stellen für ihn<br />
eher die schwankende Haltung als eine<br />
tatsächliche „Rückbesinnung der Leipziger<br />
auf ihre kulturellen Wurzeln“ dar. Da er in<br />
anderen Zusammenhängen sehr wohl einen<br />
starken Lokalpatriotismus der Leipziger<br />
festgestellt hat, geht Richter (2009)<br />
davon aus, dass der Wiederaufbau der<br />
Paulinerkirche für viele Bewohner nicht<br />
automatisch als ein lokalpatriotischer Akt<br />
gesehen wurde. Er führt dafür mehrere Erklärungen<br />
an:<br />
• In einer zu achtzig Prozent nicht-religiösen<br />
Stadt sei der Wert einer Kirche relativ<br />
gering, zumal wenn diese „zwanzig<br />
Jahre komplett aus dem Stadtbild verschwunden“<br />
gewesen sei.<br />
• Der für die Wiederherstellung notwendige<br />
Abriss der DDR-Architektur würde<br />
als reaktionärer Akt und Entwertung der<br />
DDR-Geschichte wahrgenommen.