PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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110 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Innerhalb einer solchen Situation kann<br />
auch Architektur als ein Mittel eingesetzt<br />
werden, um eine zusätzliche Attraktion<br />
und gleichzeitig ein (zusätzliches) städtisches<br />
Wahrzeichen zu schaffen, das im<br />
Sinne eines Alleinstellungsmerkmals die<br />
Unterscheidbarkeit gegenüber anderen<br />
Städten erhöht. Rekonstruktionen bergen<br />
hier den Vorteil gegenüber zeitgenössischer<br />
Architektur, dass ihr Wert innerhalb<br />
des Wettbewerbs bereits feststeht:<br />
Die kunsthistorische oder geschichtliche<br />
Bedeutung des alten Gebäudes ist belegt,<br />
die Einzigartigkeit zumindest innerhalb<br />
eines gewissen Umkreises kann in der Regel<br />
als gesichert angenommen werden und<br />
der Bau eines ähnlichen Gebäudes der<br />
gleichen Architektin wird ausgeschlossen.<br />
Zudem sind – sofern die Rekonstruktion<br />
denn innerhalb von Plänen und planerischen<br />
Konzepten entschieden würde<br />
– auch verschiedene Strategien möglich:<br />
die Stärkung einer bestehenden Besonderheit,<br />
wie es etwa in der Barockstadt<br />
Dresden geschehen ist, oder auch die Vervollständigung<br />
einer „Sammlung“ von Gebäuden,<br />
deren Vorlagen aus verschiedenen<br />
Epochen und geschichtlichen Kontexten<br />
stammen, wie dies wohl am ehesten in<br />
Frankfurt am Main der Fall ist (beachtlich<br />
auch, dass die Rekonstruktion des Thurnund-Taxis-Palais<br />
offenbar tatsächlich<br />
durch planerische Überlegungen der öffentlichen<br />
Hand mit ins Gespräch gebracht<br />
worden ist, vgl. die Fallstudie). Eine präzise<br />
und zielgruppengenaue Auswahl eines<br />
Projekts erscheint bei zeitgenössischen<br />
Bauten – zumal, wenn noch keine Entwürfe<br />
vorliegen und bei der Umsetzung immer<br />
noch mit Veränderungen zu rechnen ist –<br />
nicht in gleicher Weise möglich.<br />
Wenngleich die vorangegangene Erläuterung<br />
rational erscheint, ist darauf zu verweisen,<br />
dass eine strategische Auswahl<br />
in dem Sinne in den wenigsten Fällen bewusst<br />
stattfindet, da die meisten Wiederaufbauvorhaben<br />
auf unterschiedlichen<br />
Formen bürgerschaftlichen Engagements<br />
beruhen und innerhalb einer häufig langwierigen<br />
Debatte ausgehandelt werden,<br />
ohne dass andere Rekonstruktionsvorhaben<br />
zur Auswahl stünden. An dieser Stelle<br />
wird davon ausgegangen, dass die Auswahl<br />
unbewusst erfolgt und sich der hier<br />
aktive Teil der Stadtgesellschaft, unterstützt<br />
durch lokale Experten wie etwa Hei<br />
matkundler u.ä., das passende Gebäude<br />
nach bestimmten Kriterien wie empfundene<br />
Schönheit, bauhistorische und ursprüngliche<br />
denkmalpflegerische Bedeutung,<br />
prägnanter Standort, Notwendigkeit<br />
der Stadtreparatur im Umfeld usw. „aussucht“.<br />
Die Positionierung und Nutzung<br />
für eine Attraktivierung im Städtewettbewerb<br />
ist für Richter (2009) der zweite Teil<br />
der „doppelten Distinktion“, bei der sich<br />
zunächst ein Teil der Bevölkerung innerhalb<br />
der Stadtgesellschaft abzusetzen versucht,<br />
um gleichzeitig aber auch die Stadt<br />
insgesamt hervorzuheben. Auf die Ereignishaftigkeit<br />
von Rekonstruktionsprozessen<br />
wurde zudem bereits mehrfach verwiesen.<br />
Verwertungsinteressen<br />
Während die Imageverbesserung letztlich<br />
gesamtstädtisch wirken soll und entsprechend<br />
diffus ist – was ihren Nachweis<br />
deutlich erschwert – können mit einem<br />
Wiederaufbauvorhaben jedoch auch direkte<br />
ökonomische Verwertungsinteressen<br />
verbunden sein, die dann allenfalls mittelbar<br />
auch gesamtstädtische bzw. quartiersbezogene<br />
Auswirkungen besitzen. Gemäß<br />
dem bislang üblichen Fall, dass das wiederaufgebaute<br />
Bauwerk zu einer städtischen<br />
Attraktion wird, die zumindest die<br />
ohnehin vorhandenen Touristen anzieht,<br />
wird das direkte Umfeld des Gebäudes – je<br />
nach Bautyp und Nutzung auch das Gebäude<br />
selber – zumindest für touristisch<br />
orientierte Gewerbetreibende aufgewertet.<br />
Somit sollte sich, zumal, wenn die städtebauliche<br />
Wirkung nicht deutlich begrenzt<br />
ist, für den Nahbereich insgesamt eine<br />
Wertsteigerung der Immobilien ergeben.<br />
Damit kann ein Wiederaufbauvorhaben<br />
zu einem lukrativen Geschäft werden – gerade<br />
dann, wenn es von anderen oder der<br />
Öffentlichen Hand finanziert wird und der<br />
nutznießende Gewerbetreibende oder die<br />
profitierende Immobilienbesitzerin die Investition<br />
nicht selber tätigen muss. Dies<br />
scheint sich bislang nur in den wenigsten<br />
Fällen zu rentieren, sofern nicht eine deutliche<br />
Adressbildung und Repräsentanz gewünscht<br />
ist (Bertelsmann in Berlin) oder<br />
der Investor davon ausgehen muss, ohne<br />
Rekonstruktion den Standort nicht entwickeln<br />
zu können (ECE in Braunschweig,<br />
MAB in Frankfurt a.M.; vgl. Kap. 5.4).