im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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Regensburger Marienkalender / 1897<br />
Old Curs<strong>in</strong>g-Dry.<br />
Reiseer<strong>in</strong>nerung von Dr. <strong>Karl</strong> <strong>May</strong>.<br />
[171] So oft mir der oben stehende Name <strong>in</strong> die Er<strong>in</strong>nerung kommt, muß ich an e<strong>in</strong><br />
Ereignis aus me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit denken, welches mir noch heut so klar und deutlich <strong>im</strong><br />
Gedächtnisse lebt, als ob ich es erst gestern erlebt hätte.<br />
Wir standen, fünf oder sechs kle<strong>in</strong>e Knaben, auf dem Marktplatze me<strong>in</strong>er Vaterstadt und<br />
sahen e<strong>in</strong>em Fuhrmanne zu, dessen Pferde den schweren Wagen nicht fortzubr<strong>in</strong>gen<br />
vermochten. Er hieb lange Zeit vergeblich auf sie e<strong>in</strong> und ließ sich endlich von se<strong>in</strong>em Zorne zu<br />
e<strong>in</strong>em Fluche h<strong>in</strong>reißen, den er mit so kräftigen Hieben begleitete, daß die Pferde die Last nun<br />
wirklich über das H<strong>in</strong>dernis h<strong>in</strong>wegzerrten. „Ja, wenn nichts mehr helfen will, dann hilft e<strong>in</strong><br />
„heiliges Donnerwetter“, lachte er und fuhr weiter. Die Umstehenden lachten mit, und wir<br />
Knaben fühlten uns von diesem Fluche so <strong>im</strong>poniert, daß wir ihn sofort auf das eifrigste bei<br />
unserm Spiele anwandten. Es wurde e<strong>in</strong>ige Zeit mit wahrer Wonne „gedonnerwettert“, bis<br />
me<strong>in</strong> Vater es hörte und mir zum Fenster heraus jenen bekannten W<strong>in</strong>k gab, welcher die<br />
Eigentümlichkeit hatte, mich stets und augenblicklich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höchst wehmütige St<strong>im</strong>mung zu<br />
versetzen. So auch dieses Mal, und zwar nicht ohne Grund, denn ich hatte die Anwendung des<br />
Kraftwortes dadurch zu büßen, daß ich ke<strong>in</strong> Mittagsessen bekam und mit sehr<br />
niedergedrückten Gefühlen zusehen mußte, wie gut der dicke Milchreis me<strong>in</strong>en Geschwistern<br />
schmeckte. Dieser sehr unfreiwillige Verzicht that mir so wehe, daß ich den festen Entschluß<br />
faßte, nie wieder „Donnerwetter“ zu sagen. Dieses löbliche Vorhaben wurde dadurch noch<br />
mehr befestigt, daß mich nach Tische me<strong>in</strong>e ehrwürdige, damals achtzig Jahre alte Großmama<br />
bei Seite nahm und mir mit e<strong>in</strong>em derben Waschlappen den Mund so kräftig abwusch, daß mir<br />
das helle Wasser aus den Augen lief. „Pfui, pfui!“ sagte sie dabei. „Wer flucht, der beschmutzt<br />
se<strong>in</strong>en Mund, und das muß tüchtig abgerumpelt werden. Merke Dir das, und thue es ja nicht<br />
wieder, wenn ich Dich lieb behalten soll!“<br />
Wenn ich offen se<strong>in</strong> will, so muß ich gestehen, daß dieses „Abrumpeln“ e<strong>in</strong>en noch tieferen<br />
E<strong>in</strong>druck auf mich machte, als die Kostentziehung, denn was Großmama sagte, das war mir<br />
heiliger als jedes andere Wort. Ich zog mich also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en stillen W<strong>in</strong>kel zurück, um die<br />
Re<strong>in</strong>igung der Lippen auf eigene Hand weiter fortzusetzen, und dabei fiel mir e<strong>in</strong>, daß ich doch<br />
nicht der e<strong>in</strong>zige gewesen war, der geflucht hatte. Infolgedessen setzte ich mich <strong>in</strong> den<br />
he<strong>im</strong>lichen Besitz des besagten Waschlappens und schlich mich fort, um die Mitschuldigen alle<br />
zusammenzuholen. Als mir dies gelungen war, erklärte ich ihnen, welchem Schicksale sie sich<br />
unter den obwaltenden Umständen zu unterwerfen hätten, und führte sie zu dem großen<br />
Wassertroge, der an der obern Seite des Marktes stand. Dort gaben wir uns dann dem<br />
„Abrumpeln“ mit e<strong>in</strong>em solchen Feuereifer h<strong>in</strong>, daß uns das Wasser an den Be<strong>in</strong>en niederlief<br />
und wir uns <strong>in</strong> die Sonne legen mußten, um wieder trocken zu werden.<br />
So großen Spaß diese Wäsche uns allen machte, so ernst war es mir doch mit der<br />
Angelegenheit an sich, und ich muß sagen, daß von jenem Tage sich der Abscheu datiert, den<br />
ich noch heut gegen jeden Fluch und jeden Schwur empf<strong>in</strong>de. Sei mir e<strong>in</strong> Mensch auch noch so<br />
sympathisch, sobald ich e<strong>in</strong> solches Wort von ihm höre, fühle ich mich abgestoßen, und stellt<br />
es sich gar heraus, daß er e<strong>in</strong> Gewohnheitsflucher ist, so hört er auf, für mich zu existieren.<br />
Wie weit es e<strong>in</strong> Mensch <strong>in</strong> dieser sündhaften Angewohnheit zu br<strong>in</strong>gen vermag, habe ich an<br />
dem Manne gesehen, von dem ich heut erzählen will, weil se<strong>in</strong> Beispiel zugleich e<strong>in</strong>en Beweis<br />
dafür bildet, daß mit der Langmut und Barmherzigkeit Gottes nicht zu scherzen ist.<br />
Zur Zeit, als diese Episode sich ereignete, befand ich mich mit W<strong>in</strong>netou, dem Häuptl<strong>in</strong>g der<br />
Apatschen, bei den Navajos, welche ihn auch als ihren obersten Anführer anerkannten, weil sie<br />
<strong>im</strong> weiteren S<strong>in</strong>ne auch zu dem Volke [172] der Apatschen gehörten. Sie lagerten damals<br />
zwischen den Höhen der Agua grande genannten Gegend und wollten von da aus nach dem<br />
Colorado h<strong>in</strong>ab, doch nicht eher, als bis e<strong>in</strong>e Anzahl weißer Jäger, die ich zu ihnen bestellt<br />
hatte, e<strong>in</strong>getroffen se<strong>in</strong> würde.<br />
Während wir auf die Ankunft dieser Leute warteten, brachten unsere roten Wachen zwei<br />
fremde Indianer, welche sie unter sehr verdächtigen Umständen aufgegriffen hatten, <strong>in</strong> das<br />
Lager. Sie sollten natürlich sofort ausgefragt werden, weigerten sich aber, irgend e<strong>in</strong>e Antwort<br />
I.