im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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nichts zu befürchten.“<br />
Nach ungefähr zwei Stunden ritten wir weiter und trafen bald auf die Fährte derer, die wir<br />
gesehen hatten. Sie schienen später schneller geritten zu se<strong>in</strong>, wie wir an ihren Spuren sahen.<br />
Wir beeilten uns nicht, denn wir hatten ke<strong>in</strong>en Grund, sie e<strong>in</strong>zuholen, blieben aber <strong>in</strong> ihren<br />
Stapfen, da sie wirklich unsere Richtung e<strong>in</strong>gehalten hatten. Wie vermutet, sahen wir gegen<br />
Abend den Dschebel Hamr<strong>in</strong>, welcher se<strong>in</strong>e Höhen nach Nordwesten zog, und gelangten <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>es der vorh<strong>in</strong> erwähnten Thäler, <strong>in</strong> welchem wir die Nacht zuzubr<strong>in</strong>gen beschlossen, weil e<strong>in</strong><br />
kle<strong>in</strong>es Wässerchen durch dasselbe floß. Wir konnten tr<strong>in</strong>ken und auch die Pferde tr<strong>in</strong>ken<br />
lassen.<br />
Das Thal beschrieb e<strong>in</strong>en Bogen; darum konnten wir es nicht bis ans Ende übersehen. Wir<br />
lagerten uns am E<strong>in</strong>gange desselben. Die hohen Wände schützten uns vor dem stets kühlen<br />
W<strong>in</strong>de der Nacht.<br />
Es war me<strong>in</strong>em Halef nicht e<strong>in</strong>gefallen, unterwegs anzuhalten und abzusteigen, um die vom<br />
Islam vorgeschriebenen Gebete zu verrichten, und auch jetzt betete er weder das Mogreb noch<br />
das Aschiah, die Gebete bei Sonnenuntergang und e<strong>in</strong>e Stunde nach demselben. Er war e<strong>in</strong><br />
sehr eifriger Mohammedaner gewesen, durch se<strong>in</strong> Zusammenleben mit mir aber, obgleich er<br />
sich noch e<strong>in</strong>en Mohammedaner nannte, <strong>in</strong>nerlich e<strong>in</strong> Christ geworden. Wir rührten <strong>in</strong> dem<br />
mitgebrachten Becher Mehl und Wasser zusammen, aßen dies und e<strong>in</strong>ige Datteln dazu, banden<br />
den Pferden die Vorderbe<strong>in</strong>e so zusammen, daß sie zwar grasen, aber sich nicht weit entfernen<br />
konnten, und legten uns dann schlafen.<br />
Da wir so zeitig zur Ruhe gegangen waren, wachten wir am andern Morgen sehr früh auf;<br />
der Tag begann zu grauen. Wir aßen e<strong>in</strong>ige Datteln, sattelten die Pferde und ritten weiter. Wir<br />
kamen an den Bogen, den das Thal macht, und wollten eben um die <strong>in</strong>nere Ecke desselben<br />
biegen, als wir jenseits derselben e<strong>in</strong>e laute St<strong>im</strong>me rufen hörten:<br />
„Haï álas-salah ia mu’m<strong>in</strong><strong>in</strong>! Allah akbar; allahu akbar – Auf zum Gebete, Ihr Gläubigen!<br />
Gott ist groß; Gott ist groß!“<br />
Wir ritten sofort e<strong>in</strong> Stück zurück, stiegen ab und g<strong>in</strong>gen dann vorsichtig wieder vor, um,<br />
h<strong>in</strong>ter der Krümmung versteckt, nach vorn zu sehen, was für Leute wir vor uns hatten.<br />
Was wir da erblickten, war ke<strong>in</strong>eswegs erfreulich. Es lagerte da e<strong>in</strong> Trupp von gegen zwanzig<br />
sehr gut bewaffneten Männern mit ihren Tieren. Wir zählten sechzehn Reit- und acht<br />
Lastkamele, dazu sieben Pferde. Wie konnte das st<strong>im</strong>men? Da waren doch wenigstens drei<br />
Pferde zu viel! Diese Männer knieten jetzt auf ihren Gebetsteppichen und beteten das Fegr,<br />
das Gebet bei der Morgenröte. Ihre Tiere waren alle abgesattelt und grasten. Die Sättel lagen<br />
auf e<strong>in</strong>em Haufen beisammen; daneben standen die Gegenstände, welche die Lastkamele<br />
getragen hatten – sechzehn hölzerne Särge, je zwei für e<strong>in</strong> Kamel. Wir hatten e<strong>in</strong>e sogenannte<br />
Karwan el Amwat, e<strong>in</strong>e Karawane der Toten vor uns. Und da, h<strong>in</strong>ter diesen Särgen, sahen wir<br />
zwei Menschen liegen, welche an Händen und Füßen gefesselt waren. Das erklärte das Rätsel<br />
der überflüssigen Pferde. Nämlich die zwei Reiter, welche wir gestern gesehen hatten, waren<br />
hier auf die Karawane gestoßen und von den Leuten derselben ergriffen worden.<br />
Diese letzteren waren ke<strong>in</strong>e Sunniten, sondern Schiiten. Die Sunniten, welche man die<br />
orthodoxen Mohammedaner nennen könnte, erkennen Abu Bekr, Omar und Othman als<br />
Khalifen an, während die Schiiten diese drei verwerfen und nur Ali und dessen Nachfolger für<br />
rechtmäßig erklären. Zwischen beiden herrscht e<strong>in</strong> gr<strong>im</strong>miger Haß, welcher besonders zur Zeit<br />
der schiitischen Wallfahrten <strong>in</strong> hellen Flammen auflodert. Dieser Haß ist e<strong>in</strong>e Folge der Leiden,<br />
welche die Söhne Alis auszustehen hatten. Der Jüngere von ihnen, Husse<strong>in</strong>, wurde ermordet<br />
und <strong>in</strong> Kerbela begraben; darum ist diese Stadt der heiligste Wallfahrtsort der Schiiten, welche<br />
ihre Toten von weither br<strong>in</strong>gen, um sie dort zu begraben. Diese Leichen werden bis zu e<strong>in</strong>er<br />
passenden Gelegenheit aufbewahrt, um dann <strong>in</strong> größeren oder kle<strong>in</strong>eren Karawanen- [139b]<br />
zügen [Karawanenzügen] nach Kerbela geschafft zu werden. Während dieser Totenzüge<br />
bef<strong>in</strong>den sich die Beteiligten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er religiösen Aufregung, welche an Wahns<strong>in</strong>n grenzt und sie<br />
zu allen Unthaten gegen Andersgläubige fähig macht; den Beweis dazu hatten wir jetzt vor uns<br />
liegen.<br />
„Siham Allah fi ada ed d<strong>in</strong> – Allah möge die Fe<strong>in</strong>de der Religion durchbohren!“ flüsterte mir<br />
Halef zu. „Das s<strong>in</strong>d ja verdammte Schiiten! Die haben die beiden Reiter überfallen und werden<br />
das auch mit uns thun wollen, wenn sie uns sehen. Sihdi, was werden wir beg<strong>in</strong>nen?“<br />
„Schnell fliehen,“ antwortete ich, um ihn auf die Probe zu stellen.<br />
Was ist vermutet hatte, das geschah: Der kle<strong>in</strong>e wackere Mann antwortete zornig:<br />
„Fliehen? Zwei solche Männer, wie wir s<strong>in</strong>d? Vor diesen geme<strong>in</strong>en Totengräbern? Ja, es wäre<br />
klüger, sie zu meiden; aber sollen wir den Gefangenen nicht beistehen? Das wäre feig! Wer