im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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Die Frau war aus den jenseitigen Büschen gekommen und hatte sich von denselben schon<br />
vielleicht hundertfünfzig Schritte entfernt. Die Angst hatte sie zunächst grad vorwärts<br />
getrieben; nun aber wendete sie sich dem Flusse zu, um denselben zwischen sich und die<br />
Gefahr, welche h<strong>in</strong>ter ihr lag, zu br<strong>in</strong>gen. Da sah sie mich und Halef halten und lenkte rasch<br />
wieder <strong>in</strong> ihre vorherige Richtung e<strong>in</strong>, kam also noch <strong>im</strong>mer unausgesetzt rufend auf uns<br />
zugerannt. Der Khawaß hatte sich doch bis an den Buschrand h<strong>in</strong>ter uns her gewagt. Er sah<br />
die Frau und rief lachend aus:<br />
„Allahi, Wallahi, Tallahi! Dieses Weib ist verrückt. Sie schreit um Hilfe und bef<strong>in</strong>det sich doch<br />
nicht <strong>in</strong> Gefahr.“<br />
Aber es zeigte sich schon <strong>im</strong> nächsten Augenblicke, daß ihre Rufe nicht ohne Ursache<br />
waren, denn aus dem h<strong>in</strong>ter ihr liegenden Gebüsch kam e<strong>in</strong> Hund geschossen, h<strong>in</strong>ter ihm noch<br />
e<strong>in</strong>er und wieder e<strong>in</strong>er. Es waren riesige, grau gefärbte kurdische W<strong>in</strong>dhunde von der Rasse,<br />
welche von den Kurden Tazi genannt wird. So e<strong>in</strong> Hund hat die Höhe e<strong>in</strong>es großen Kalbes,<br />
besitzt zwar e<strong>in</strong>e schlechte Nase, läßt aber, e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong>e Spur gehetzt, dieselbe nicht wieder<br />
fallen und ist darauf dressiert, demjenigen, auf den er gehetzt wird, die Gurgel zu zerreißen.<br />
Die Frau befand sich also <strong>in</strong> höchster Gefahr. Wurde sie von den Hunden erreicht, so war es<br />
um ihr Leben [154] geschehen. Sie kamen <strong>in</strong> weiten, pantherartigen Sätzen h<strong>in</strong>ter ihr her. Ich<br />
mußte ihr helfen und jagte ihr entgegen.<br />
„Halt e<strong>in</strong>, halt e<strong>in</strong>; um Allahs willen, halt e<strong>in</strong>! Die Hunde reißen Dich vom Pferd und<br />
zerfleischen Dich!“ rief mir der Khawaß nach.<br />
Ich achtete nicht auf ihn. Ich avancierte, um die Entfernung zu verr<strong>in</strong>gern und e<strong>in</strong>en sichern<br />
Schuß zu haben. Dann hielt ich an und nahm den Stutzen vor. Als ich ihn anlegte, stand me<strong>in</strong><br />
Rappe wie e<strong>in</strong>e Mauer; er wußte, daß ich schießen wolle und daß er sich nicht bewegen dürfe.<br />
Man wird von früher her wissen, welche e<strong>in</strong> unvergleichliches Repetiergewehr me<strong>in</strong><br />
Henrystutzen ist; ich konnte mich auf ihn verlassen. Drei schnell h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>ander folgende<br />
Schüsse, und die Hunde, welche ich so schon von vorn aufs Blatt nehmen konnte, wälzten sich<br />
<strong>im</strong> Grase. Die Frau rannte dennoch weiter. Ich ritt ihr, von Halef gefolgt, entgegen und rief, als<br />
ich sie ziemlich erreicht hatte, sie an:<br />
„Bleib stehen! Du bist gerettet. Die Hunde s<strong>in</strong>d tot.“<br />
Ich hatte mich des Kurmangdschi-Dialektes bedient, welcher wohl der ihrige war, denn sie<br />
verstand mich, hielt <strong>im</strong> Laufen <strong>in</strong>ne, blickte zurück und rief, als sie die Hunde liegen sah:<br />
„Ghe<strong>in</strong>e Chodeh kes nehkahne – Gott ist allmächtig! Er hat mich errettet. Ihm sei Lob und<br />
Dank gesagt!“<br />
Ihr Atem flog, so daß sie diese Worte nur mit Unterbrechung hervorbrachte. Die beiden<br />
Hände auf die Brust legend, versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie war nicht mehr jung,<br />
vielleicht vierzig Jahre alt; Falten, vielleicht mehr <strong>in</strong> Folge der Sorge als des Alters,<br />
durchfurchten ihr Gesicht. Ihre sehr ärmliche Bekleidung bestand nur aus e<strong>in</strong>em langen,<br />
hemdartigen, blaule<strong>in</strong>enen Gewande. Auf dem Kopfe trug sie e<strong>in</strong> altes Schleiertuch, welches<br />
sich verschoben hatte, sonst wäre ihr Gesicht damit bedeckt gewesen.<br />
„Hattest Du die Hunde erzürnt, oder hat man sie auf Dich gehetzt?“ fragte ich.<br />
„Gehetzt, gehetzt!“ antwortete sie, noch <strong>im</strong>mer atemlos. „Ich sollte von ihnen zerrissen<br />
werden.“<br />
„Wem gehörten sie?“<br />
„Schir Seleki, dem Häuptl<strong>in</strong>g der Mir Mahmalli, der Räuber, der Mörder, welche ke<strong>in</strong>es<br />
Menschen, nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>es armen Weibes schonen.“<br />
„Womit hattest Du denn diesen Mann erzürnt?“<br />
„Erzürnt? Er tötet, ohne zornig zu se<strong>in</strong>, denn der Mord ist ihm e<strong>in</strong> Vergnügen. Ich vermißte<br />
me<strong>in</strong>e Ziege, me<strong>in</strong>en Liebl<strong>in</strong>g, von deren Milch wir leben, denn wir s<strong>in</strong>d sehr arm und haben<br />
nur dieses e<strong>in</strong>e Tier. Ich suchte sie und kam zum Flusse. Ich sah sie jenseits desselben und<br />
stieg ihr durch das Wasser nach. Eben wollte ich sie ergreifen, um sie zurückzuführen; da kam<br />
Schir Seleki, der Erbarmungslose, der oberste der Mörder, mit e<strong>in</strong>er Schar Mir Mahmalli-<br />
Krieger. Ich flehte ihn um Erbarmen an, denn wir liegen <strong>in</strong> Blutfehde mit se<strong>in</strong>em Stamme; er<br />
aber hohnlachte me<strong>in</strong>er Bitte und stach me<strong>in</strong>en Liebl<strong>in</strong>g tot. Dann wurde darüber beraten, was<br />
mit mir geschehen sollte. Die Unmenschen wollten zwar ihre Waffen nicht mit dem Blute e<strong>in</strong>es<br />
Weibes verunre<strong>in</strong>igen, aber sterben sollte ich dennoch. Sie beschlossen, mich von den Hunden<br />
hetzen und zerreißen zu lassen. Ich mußte vorwärts laufen bis <strong>in</strong> das nächste Gebüsch; so weit<br />
wollten sie mir Vorsprung geben. Ich lief bis zum Gesträuch, dann durch dasselbe weiter,<br />
<strong>im</strong>mer weiter, und schrie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Todesangst zu Gott um Hilfe. Er hörte me<strong>in</strong>en Ruf und<br />
rettete mich durch Dich, o Herr. Se<strong>in</strong> Name sei gelobt <strong>in</strong> Ewigkeit!“