im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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wir <strong>in</strong> ihre Hände gefallen wären. Ihr Scheik hatte den Be<strong>in</strong>amen Abu 'Dem, Vater des Blutes,<br />
e<strong>in</strong>e für ihn sehr treffende Bezeichnung, und <strong>im</strong> Stamme gab es e<strong>in</strong>en Mann, der noch mehr zu<br />
fürchten war als dieser blutdürstige Scheik, nämlich Gadub es Sahhar 8 der Magier und<br />
Wunderdoktor der Scherarat.<br />
Dieser »Zauberer« war weit und breit berühmt bei den Freunden und berüchtigt bei den<br />
Gegnern des Stammes. Man wußte, daß er bei jeder Abst<strong>im</strong>mung über das Schicksal e<strong>in</strong>es<br />
Gefangenen den Tod desselben verlangte und meist<br />
[156] auch durchsetzte. Handelte es sich um e<strong>in</strong>en Andersgläubigen, e<strong>in</strong>en Schiiten, e<strong>in</strong>en<br />
Juden oder gar Christen, so war von Schonung schon gar ke<strong>in</strong>e Rede, und selbst die Scherarat,<br />
die se<strong>in</strong>e Künste bewunderten, fürchteten ihn <strong>im</strong> stillen und nahmen sich vor ihm <strong>in</strong> acht als<br />
vor e<strong>in</strong>em Manne, dessen Zorn selbst se<strong>in</strong>en nächsten Angehörigen gefährlich werden konnte.<br />
Eigentlich war er <strong>im</strong> Stamme mächtiger als selbst der Scheik, und man erzählte <strong>im</strong> stillen, daß<br />
dieser es darum gar nicht ungern sehen würde, wenn dem Zauberer e<strong>in</strong>mal etwas<br />
Menschliches geschehen sollte; aber e<strong>in</strong> solches Ereignis mit eigener Hand herbeizuführen, das<br />
wagte er freilich nicht.<br />
Also von diesem Stamme drohte uns die größte Gefahr, zumal wir nicht wußten, wo er jetzt<br />
zu suchen war. Wir befanden uns ungefähr <strong>in</strong> gleicher Höhe mit der Landschaft Tschohf,<br />
vielleicht anderthalbe Tagereise östlich von ihr, und hatten den kle<strong>in</strong>en Bir Nufah 9 so vor uns,<br />
daß wir ihn um Mittag erreichen konnten; nur galt es, zu erfahren, ob er besetzt sei oder nicht.<br />
Ich wollte voranreiten, um zu rekognoscieren; aber das gab Halef nicht zu.<br />
»Sihdi, willst Du mich beleidigen?« rief er aus. »Du bist e<strong>in</strong> Franke, und ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ibn el<br />
Arab; ist es da nicht me<strong>in</strong>e Sache, die Gegend zu erkunden, ob wir sicher s<strong>in</strong>d oder nicht?<br />
Oder traust Du mir die dazugehörige Geschicklichkeit nicht zu?«<br />
»Ich traue sie Dir zu, aber Du weißt, daß ich <strong>in</strong> Beziehung auf diese Geschicklichkeit De<strong>in</strong><br />
Lehrer gewesen b<strong>in</strong>.«<br />
»Danach gehe ich nicht, denn der Schüler kann den Lehrer nicht nur erreichen, sondern<br />
sogar übertreffen.«<br />
»Me<strong>in</strong>st Du, daß dies bei Dir der Fall sei?«<br />
»Ich me<strong>in</strong>e nichts, gar nichts; aber es wird sich zeigen, und Kara Ben Halef, me<strong>in</strong> Sohn, soll<br />
se<strong>in</strong>en Vater schätzen und bewundern lernen. Darum fordere ich als De<strong>in</strong> und se<strong>in</strong> Beschützer<br />
von Dir, daß du mir erlaubst, voranzureiten!«<br />
Was sollte ich thun? Um e<strong>in</strong> zuverlässiger, vorsichtiger Kundschafter zu se<strong>in</strong>, dazu war der<br />
kle<strong>in</strong>e Hadschi zu unbedenklich und verwegen. Aber durfte ich ihn vor se<strong>in</strong>em Sohne<br />
blamieren? Ne<strong>in</strong>. Ich ließ ihn also fort. Bald sahen wir ihn auf se<strong>in</strong>em w<strong>in</strong>dschnellen Hedschihn<br />
am Horizonte verschw<strong>in</strong>den, und wir ritten ihm <strong>in</strong> der bisherigen, ungesteigerten Gangart<br />
nach. Wir hatten noch zwei Stunden bis Mittag, also bis zu dem Brunnen zu reiten, dessen<br />
Lage ich zwar ungefähr wußte, dessen Umgebung mir aber vollständig unbekannt war.<br />
Bei der Schnelligkeit, mit welcher Halef sich entfernt hatte, mußte er <strong>in</strong> nicht viel über e<strong>in</strong>er<br />
Stunde dort se<strong>in</strong>; ich war also nach Verlauf von anderthalber Stunde so vorsichtig, anzuhalten,<br />
um auf se<strong>in</strong>e Rückkehr zu warten. Es verg<strong>in</strong>g wieder e<strong>in</strong>e Stunde, ohne daß er kam; das<br />
machte mich besorgt, ohne daß ich dies se<strong>in</strong>em Sohne merken ließ. Als aber wieder e<strong>in</strong>e halbe<br />
Stunde vorüber war, fragte er mich <strong>in</strong> bedenklichem Tone:<br />
»Emir, sag, könnte me<strong>in</strong> Vater nicht längst schon hier se<strong>in</strong>?«<br />
»Er wird Leute am Brunnen bemerkt haben und warten wollen, bis sie fort s<strong>in</strong>d,« versuchte<br />
ich, ihn zu beruhigen.<br />
»Das würde nicht klug von ihm se<strong>in</strong>, denn <strong>in</strong> diesem Falle müßte er umkehren, um uns zu<br />
warnen.«<br />
»Sorge Dich nicht, sondern verlaß Dich auf ihn; Du hast ja vorh<strong>in</strong> von ihm gehört, daß er<br />
e<strong>in</strong> guter Kundschafter ist!«<br />
Er schwieg; als aber wieder e<strong>in</strong>e halbe Stunde verfloß, ohne daß Halef sich sehen ließ,<br />
gestand er mir:<br />
»Emir, ich beg<strong>in</strong>ne, Sorge zu tragen. Allah möge me<strong>in</strong>en Vater beschützen! Es ist ihm e<strong>in</strong><br />
Unglück widerfahren. Laß uns eilen, ihm Hilfe zu br<strong>in</strong>gen!«<br />
»Nicht eilen, sondern langsam und vorsichtig reiten, und zwar Du ganz genau h<strong>in</strong>ter mir.«<br />
»Warum h<strong>in</strong>ter Dir?«<br />
»Aus Vorsicht. Die Luft ist nicht re<strong>in</strong> am Brunnen; das ist gewiß. Es s<strong>in</strong>d Leute dort.«<br />
8 Gadub, der Zauberer.<br />
9 Brunnen Nufa.