im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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erblickte ich vor mir e<strong>in</strong>e beträchtliche Erweiterung des Thales, <strong>in</strong> welcher wohl an die<br />
zweihundert gut bewaffnete Kamelreiter lagerten, <strong>in</strong> denen ich zu me<strong>in</strong>er nicht eben freudigen<br />
Überraschung Scherarat erkannte. Seitwärts vom großen Haufen saßen e<strong>in</strong>ige, welche die<br />
Befehlenden zu se<strong>in</strong> schienen; sie hatten den kle<strong>in</strong>en Hadschi zwischen sich; er war, wie ich<br />
geahnt hatte, ihr Gefangener.<br />
Wie war es möglich, ihn zu befreien? Durch List, jetzt am hellen Tage? Unmöglich! Oder mit<br />
Gewalt? Auch nicht! Me<strong>in</strong> Henrystutzen hatte fünfundzwanzig Schüsse, me<strong>in</strong> Bärentöter zwei<br />
und jeder me<strong>in</strong>er beiden Revolver sechs. Das waren <strong>in</strong> Summa neununddreißig Kugeln. Und<br />
wenn e<strong>in</strong>e jede ihren Mann zu Tode traf, was aber dann? E<strong>in</strong> vergebliches Blutbad, weiter<br />
nichts als nachher me<strong>in</strong> sicherer Tod! Ne<strong>in</strong>, auch das g<strong>in</strong>g nicht!<br />
Da stand e<strong>in</strong>er von den Abgesonderten auf, hob das Gesicht nach der Felsenhöhe empor,<br />
rief e<strong>in</strong>en Namen und fragte dann:<br />
»Siehst Du noch nichts?«<br />
Indem ich auch h<strong>in</strong>aufblickte, sah ich e<strong>in</strong>en Bedu<strong>in</strong>en, welcher h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em großen Ste<strong>in</strong>e<br />
auf der Lauer gelegen hatte. Er antwortete herab:<br />
»Ke<strong>in</strong>en Menschen.«<br />
»So haben wir uns geirrt, und der Gefangene ist alle<strong>in</strong> gewesen. Komm herunter, wir haben<br />
ke<strong>in</strong>e Zeit, länger zu warten; wir müssen fort, sonst kommen wir nicht bis zum Abend nach<br />
dem Bir Nadahfa.«<br />
»Was ist's? Was siehst Du, Emir?« fragte me<strong>in</strong> junger Begleiter leise.<br />
»Ich höre rufen.«<br />
»Steig ab, und kriech zu mir her; dann wirst Du De<strong>in</strong>en Vater sehen,« antwortete ich<br />
ebenso mit unterdrückter St<strong>im</strong>me.<br />
Er folgte me<strong>in</strong>em Geheiße. Als er Halef erblickte, wäre er am liebsten vorgesprungen, um zu<br />
ihm h<strong>in</strong>zueilen. Ich faßte ihn am Arme und raunte ihm warnend zu:<br />
»Still! Ke<strong>in</strong>e Übereilung! Du gehst nur selbst <strong>in</strong> das Verderben, ohne De<strong>in</strong>en Vater dadurch<br />
retten zu können!«<br />
»Aber Du siehst ja, daß sie aufbrechen, daß sie fortwollen!«<br />
»Laß sie! Jetzt ist nichts zu thun. Wir müssen bis heut abend warten.«<br />
»Bis heut abend? Ist es da nicht zu spät?«<br />
»Ne<strong>in</strong>. Mit Gewalt läßt sich gegen so viele Menschen nichts erreichen; nur List kann zum<br />
Ziele führen, und dazu ist die Nacht die e<strong>in</strong>zige Zeit.«<br />
»Aber wenn sie me<strong>in</strong>en Vater bis dah<strong>in</strong> umbr<strong>in</strong>gen!«<br />
»Das fällt ihnen nicht e<strong>in</strong>. Über das Schicksal des Gefangenen kann nur die Dschemma 11<br />
best<strong>im</strong>men, und die dazu gehörigen alten Leute s<strong>in</strong>d nicht mit hier. Du siehst, daß es lauter<br />
junge Krieger s<strong>in</strong>d.«<br />
»Was mögen sie vorhaben? E<strong>in</strong> Wanderzug ist es nicht, weil sie ke<strong>in</strong>e Frauen, Greise und<br />
K<strong>in</strong>der mithaben. Sollte es e<strong>in</strong> Kriegsritt se<strong>in</strong>?«<br />
»Ne<strong>in</strong>. Du wirst dort l<strong>in</strong>ks die Kamele bemerken, welche mit Stricken und<br />
Palmenfasermatten hoch bepackt s<strong>in</strong>d. Diese Stricke und Matten sollen zum Transport der<br />
Tiere und zur Verpackung der andern Beute dienen; es handelt sich also um e<strong>in</strong>en Raubzug.«<br />
»Gegen wen?«<br />
»Das weiß ich nicht, hoffe es aber heut abend zuerfahren.«<br />
»Von wem?«<br />
»Von den Scherarat selbst. Wir werden sie belauschen.«<br />
»Ihnen also bis zu ihrem Nachtlager folgen? O, Emir, ich erfahre da, daß me<strong>in</strong> Vater recht<br />
gehabt hat, da er stets sagte, wenn man sonst nichts erlebe, so brauche man nur mit dir zu<br />
gehen, da seien ganz gewiß alle möglichen Thaten und Abenteuer zu erwarten. Doch schau,<br />
wir müssen [159] fort, schleunigst fort! Sie stehen <strong>im</strong> Begriffe, ihre Tiere zu besteigen. Wenn<br />
sie hierherkommen, entdecken sie uns.«<br />
»Sie werden nicht hierher kommen, sondern das Wadi dort l<strong>in</strong>ks durch die Seitenöffnung<br />
verlassen, weil sie nach dem Bir Nadahfa wollen.«<br />
»Woher weißt Du das?«<br />
»Der Anführer sagte es vorh<strong>in</strong>, als er den Späher herunterrief. Dieser Brunnen liegt genau<br />
südwärts von hier, und die Öffnung zeigt nach dieser Richtung. Glücklicherweise kenne ich ihn<br />
genau.«<br />
»Warst du schon e<strong>in</strong>mal dort?«<br />
11 Versammlung der Ältesten.