im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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Der Garten lag e<strong>in</strong>sam, auf der e<strong>in</strong>en Seite von dem Hause und auf den andern drei von<br />
hohen Mauern umgeben. Ich forschte vergeblich nach Mandi und hatte nur noch die h<strong>in</strong>terste<br />
Ecke zu durchsuchen. Um dorth<strong>in</strong> zu gelangen, mußte ich über e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, freien Platz<br />
gehen, welcher vom Monde hell beschienen wurde. Kaum war se<strong>in</strong> Licht auf mich gefallen, so<br />
hörte ich e<strong>in</strong>e helle K<strong>in</strong>derst<strong>im</strong>me rufen: „El Nusrani, el nusrani – der Christ, der Christ!“<br />
War das etwa der kle<strong>in</strong>e Asmar, der Sohn des Henkers? Ich blieb gar nicht lange darüber <strong>im</strong><br />
Zweifel, denn das Kerlchen kam gesprungen und nahm mich bei der Hand. Er war es wirklich.<br />
„Wo ist De<strong>in</strong> Vater?“ fragte ich ihn.<br />
„Dort,“ antwortete er, nach dem Hause deutend.<br />
„Und Kalada, De<strong>in</strong>e Mutter?“<br />
„Komm, ich werde Dich führen.“<br />
„Wer ist bei ihr?“<br />
„Niemand. Sie ist alle<strong>in</strong>.“<br />
Nun trug ich ke<strong>in</strong> Bedenken, die arme, bedauernswerte Frau aufzusuchen. Sie saß <strong>in</strong> tiefem<br />
Schatten von Jasm<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>em Ste<strong>in</strong>e. Ich grüßte; sie dankte nicht; die Angst, mit mir<br />
entdeckt zu werden, raubte ihr die Sprache.<br />
„Verzeihe mir, daß ich der St<strong>im</strong>me De<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des folge!“ bat ich sie. „Soll es nur Zufall se<strong>in</strong>,<br />
daß wir uns so unerwartet und unbeobachtet hier wieder treffen? Ich werde nur so lange<br />
bleiben, wie nötig ist, das zu erfahren, was ich wissen muß. Was waren bei Dir die Folgen<br />
unsers Besuches?“<br />
„Ich habe nicht gesagt, daß ich mit Dir gesprochen habe,“ antwortete sie zagend. „Der Zorn<br />
me<strong>in</strong>es Gebieters hat me<strong>in</strong>en Bruder getroffen, der Euch <strong>in</strong> das Haus gebracht hat, doch wurde<br />
mir deshalb e<strong>in</strong> großer Zorn, daß ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Herzensangst die Namen Jesu und der heiligen<br />
Jungfrau ausgerufen hatte. Darum reist er jetzt mit mir und dem K<strong>in</strong>de nach Keruan, wo ich<br />
diese Schuld durch das Abbeten der Re<strong>in</strong>igungssuren auslöschen soll. Der Knabe soll mir, weil<br />
er schon das heilige Vaterunser betet, genommen werden und <strong>in</strong> Keruan bleiben, um e<strong>in</strong><br />
frommer Marabut zu werden.“<br />
„Warum geht De<strong>in</strong> Mann nicht direkt von Tunis nach Keruan? Warum hat er diesen Umweg<br />
zu Schiffe über Sfaks gemacht?“<br />
„Weil er e<strong>in</strong>e Botschaft des Bey an den Befehlshaber der hiesigen Truppen zu überbr<strong>in</strong>gen<br />
hatte. Me<strong>in</strong> Gebieter wohnt stets bei Mandi; darum s<strong>in</strong>d wir auch heute hier.“<br />
„Wann reist Ihr ab?“<br />
„Morgen früh, auf Kameelen und mit drei Dienern.“<br />
„Weiß De<strong>in</strong> Mann, daß ich mich mit me<strong>in</strong>em Freunde hier <strong>in</strong> Sfaks bef<strong>in</strong>de?“<br />
„Ne<strong>in</strong>; er ahnt es nicht.“<br />
„So weiß ich genug; ich danke Dir! Vertraue auf den Herrn, der De<strong>in</strong> Glück und dasjenige<br />
De<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des ebenso sicher lenkt, wie er die Sterne leitet. Lebe wohl! Vielleicht sehen wir uns<br />
wieder.“<br />
Der Diener, welcher mich <strong>in</strong> den Garten gewiesen hatte, stand noch an der Thüre. Ich sagte<br />
ihm, daß ich se<strong>in</strong>en Herrn nicht gefunden hätte, und befahl ihm, demselben mitzuteilen, daß<br />
Abd el Fadl von unserer Anwesenheit nichts wissen dürfe. Dann begab ich mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e<br />
Wohnung zurück, die ich mit Turnerstick teilte. Vorh<strong>in</strong> war er nicht dahe<strong>im</strong> gewesen; jetzt saß<br />
er da. Bei me<strong>in</strong>em Anblicke sprang er auf und empf<strong>in</strong>g mich mit den Worten:<br />
„Willkommen zur He<strong>im</strong>kehr, Charley! Gut, daß Ihr zurück seid! Ich habe e<strong>in</strong> prächtiges<br />
Unternehmen. Me<strong>in</strong>e Geschäfte [181] s<strong>in</strong>d fast beendet, und nun will ich e<strong>in</strong>en Ausflug<br />
machen, zwanzig Stunden weit zu Pferde. Macht Ihr mit?“<br />
„Woh<strong>in</strong>?“<br />
„Großartige Ru<strong>in</strong>e, riesiges Amphitheater, Löwen-, Tiger- und Elefantenkämpfe wie zur<br />
Römerzeit!“<br />
„Me<strong>in</strong>t Ihr el Dschem?“<br />
„Was? Ihr kennt das D<strong>in</strong>gs?“<br />
„Leidlich.“<br />
„Sodann e<strong>in</strong>e Riesenhöhle, leider jetzt verschüttet, aber <strong>im</strong>mer noch des Ansehens wert.“<br />
„Me<strong>in</strong>t Ihr die Marahra er rad, die Höhle des Donners?“<br />
„Auch diese kennt Ihr?“<br />
„B<strong>in</strong> schon dr<strong>in</strong> gewesen, damals, als ich von dem Khrumirlande aus nach Süden ritt.<br />
Vielleicht weiß ich, warum diese große Höhle plötzlich e<strong>in</strong>gestürzt ist. Es gab da e<strong>in</strong>en<br />
verborgenen Wasserfall, dessen Geräusch die Bedu<strong>in</strong>en für Donner hielten; daher der Name<br />
der Höhle.“