im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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mächtigste unter den Geistern Kairos aber wohnt <strong>in</strong> dem Bab Zuweileh und hat se<strong>in</strong>en<br />
Aufenthalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Raume des östlichen Thorweges, der durch den hölzernen<br />
Thorflügel verdeckt wird.<br />
Dieser Geist ist der berühmte „ K u t b “ , welcher fast die Allmacht Allahs besitzt. Er<br />
kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Augenblicke um die ganze Erde fliegen; er hört alles, sieht alles<br />
und kann alles. Wer es mit ihm verdirbt, der ist verloren, und wer sich se<strong>in</strong>e Gunst<br />
erwirbt, der kann auf die Erfüllung aller Wünsche rechnen. Dieser Kutb hat Macht über<br />
alle frommen Moslem<strong>im</strong>, mögen sie wohnen, wo sie wollen, <strong>in</strong> dem westlichsten W<strong>in</strong>kel<br />
der Sahara oder tief <strong>im</strong> Osten bei den Ch<strong>in</strong>esen; er kennt sie alle und ist auch ihnen allen<br />
bekannt, wenn ihn auch noch ke<strong>in</strong>er gesehen hat. Will er e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> sichtbarer Gestalt<br />
ersche<strong>in</strong>en, so geschieht das <strong>in</strong> der Gestalt des Bettlers, der se<strong>in</strong> Diener und se<strong>in</strong><br />
Vertrauter ist. Man kann sich also denken, wie hochwichtig und wie wertvoll der<br />
Bettlerplatz am Thore Zuweileh ist! Esch Schahad hätte ihn nie freiwillig hergegeben und<br />
um se<strong>in</strong>en Besitz mit jedem Konkurrenten bis auf den Tod gekämpft. Welche Ehren<br />
genoß er da! Ke<strong>in</strong> Moslem g<strong>in</strong>g an ihm vorüber, ohne die Fatcha, die erste und<br />
e<strong>in</strong>leitende Sure des heiligen Kuran zu beten! Und wer e<strong>in</strong>en Wunsch, e<strong>in</strong>e Bitte an den<br />
Kutb hatte, der blieb stehen, um sie <strong>in</strong> lauten, flehenden Worten auszusprechen. So<br />
erfuhr der Bettler manches Gehe<strong>im</strong>nis, [161a] welches er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er verschwiegenen Brust<br />
verschlossen hielt.<br />
Also dieser hochwichtige Mann war der Dorn <strong>in</strong> unserer Rose! Er kam alle Abende so<br />
sicher wie der Abend selber, rauchte se<strong>in</strong>en fürchterlichen Tabak oder kaute se<strong>in</strong>en<br />
ebenso genußreichen Knoblauch und sprach dabei von allen möglichen D<strong>in</strong>gen, aber nur<br />
nicht von dem Kutb, über den ich doch so gern etwas Näheres erfahren hätte. Das war<br />
se<strong>in</strong> Amts- oder vielmehr Geschäftsgehe<strong>im</strong>nis. Er duftete nach allen möglichen Gerüchen,<br />
die e<strong>in</strong>em Bettler anhaften können, und paßte nicht <strong>in</strong> unsere re<strong>in</strong>liche Behausung,<br />
wurde aber trotzdem von me<strong>in</strong>em Wirte geduldet, weil er der Nachbar desselben und ihn<br />
durch se<strong>in</strong>e Besuche gewohnt geworden war. Auch ich war ihm nicht unbekannt, denn ich<br />
hatte ihm früher, so oft ich durch das Bab Zuweileh und an ihm vorübergegangen war,<br />
stets e<strong>in</strong> Geschenk gegeben, und da me<strong>in</strong>e Kleidung diejenige e<strong>in</strong>es Europäers gewesen<br />
war, hatte er sich über diese Gaben gewundert und sich me<strong>in</strong> Gesicht gemerkt. Als er<br />
mich dann zum erstenmal <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er jetzigen Wohnung traf, war er zugleich verwundert<br />
und erfreut darüber und fragte mich, warum e<strong>in</strong> solcher Effendi gezwungen sei, bei<br />
e<strong>in</strong>em „Manne der Pfeifenre<strong>in</strong>igung“ zu wohnen. Ich hatte ke<strong>in</strong>en Grund, ihm die<br />
Auskunft zu verweigern, und er nahm solchen Anteil an mir, daß er mir versprach, den<br />
Kutb zu befragen, woh<strong>in</strong> der verschwundene Ben Musa Effendi mit me<strong>in</strong>em Koffer<br />
gekommen sei. Leider aber verg<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Tag nach dem andern, ohne daß der sonst so<br />
allwissende Geist sich herbeiließ, die erbetene Antwort zu erteilen. Ich hielt das für e<strong>in</strong>e<br />
unverantwortliche Rücksichtslosigkeit, zwar nicht gegen mich, aber doch gegen den<br />
Bettler, der se<strong>in</strong> Diener und Vertrauter war.<br />
So verg<strong>in</strong>gen zwei Wochen, ohne daß ich e<strong>in</strong>e Spur von Ben Musa Effendi entdeckte;<br />
das Schicksal entschädigte mich dafür dadurch, daß mir esch Schahad se<strong>in</strong>e ganz<br />
besondere Zuneigung schenkte; ich bemerkte, daß er mich von Tag zu Tag lieber und<br />
lieber gewann, und es kam mir zuweilen so vor, als ob er etwas auf dem Herzen habe,<br />
was er mir gern anvertrauen wolle, was sich aber weigere, ihm über die Lippen zu gehen.<br />
Aus den verschiedenen Fragen, mit denen er um diesen Gegenstand „herumg<strong>in</strong>g“, schloß<br />
ich, daß es etwas Aerztliches se<strong>in</strong> müsse; es wurde ihm aber außerordentlich schwer, es<br />
auszusprechen. Wäre er verheiratet gewesen, so hätte ich geschlossen, daß es sich um<br />
se<strong>in</strong>en Harem handle.<br />
Da, e<strong>in</strong>es Abends, zwang er sich endlich zu dieser Mitteilung; nur sprach er sie nicht<br />
unvermittelt aus, sondern er steuerte auf e<strong>in</strong>em Umwege auf sie los, <strong>in</strong>dem er sich<br />
erkundigte:<br />
„Hast Du heute wieder nichts von diesem Ben Musa Effendi erfahren?“<br />
„Ne<strong>in</strong>,“ antwortete ich.<br />
„Er ist vielleicht doch e<strong>in</strong> Dieb!“<br />
„Gewiß nicht; er ist e<strong>in</strong> ehrlicher Mann.“<br />
„Da hätte er De<strong>in</strong>en Koffer stehen lassen müssen!“<br />
„Das wäre unvorsichtig gewesen; er durfte ihn andern Leuten nicht anvertrauen.“<br />
„So mußte er bei se<strong>in</strong>em Fortgange sagen, woh<strong>in</strong> er gehen wollte!“