im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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I. Nûr esch Schems.<br />
Benzigers Marienkalender / 1893<br />
Nûr es Semâ. – H<strong>im</strong>melslicht.<br />
Reiseerlebnis von <strong>Karl</strong> <strong>May</strong>.<br />
[138a] Es war Mitte Dezember. Wir kamen von Bagdad herauf und wollten me<strong>in</strong>en Freund<br />
Amad el Ghandur, den Scheik der Haddedihn, Araber vom großen Stamme der Schammar<br />
besuchen. Wenn ich sage „wir“, so ist damit außer mir nur noch me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er, wackerer und<br />
treuer Diener Hadschi Halef Omar geme<strong>in</strong>t. Wir waren vor Jahren bei den Haddedihn gewesen,<br />
hatten e<strong>in</strong> gutes Andenken zurückgelassen und wußten, daß sie uns mit großer Freude<br />
bewillkommnen würden.<br />
Es war eigentlich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Wagnis, daß wir zwei es unternahmen, fast das ganze<br />
Mesopotamien so alle<strong>in</strong> der Länge nach zu durchreiten. Die freien Ebenen, welche zwischen<br />
dem Euphrat und Tigris liegen, s<strong>in</strong>d von vielen Araberstämmen bewohnt, welche nicht nur sich<br />
gegenseitig <strong>im</strong>merfort befehden, sondern auch mit der türkischen Obrigkeit <strong>in</strong> stetem Hader<br />
liegen und jeden fremden Reisenden und se<strong>in</strong> Eigentum als gute Beute betrachten. Aber es<br />
war uns trotzdem nicht bange. Wir hatten grad <strong>in</strong> dieser Beziehung reiche Erfahrungen<br />
gemacht, kannten das Land und se<strong>in</strong>e Bewohner genau und wußten, daß wir uns <strong>in</strong> jeder<br />
Beziehung und Gefahr auf e<strong>in</strong>ander verlassen konnten. Besser war es <strong>im</strong>mer alle<strong>in</strong> zu reisen,<br />
als unter dem sogenannten Schutze e<strong>in</strong>es türkischen Soldaten, dessen Gegenwart uns nicht<br />
nur nichts nützen, sondern <strong>im</strong> Gegenteile nur schaden konnte. Wir hatten das erlebt.<br />
Der kürzeste Weg hätte uns am Flusse h<strong>in</strong>aufgeführt; da sich aber die Bedu<strong>in</strong>enherden,<br />
welche wir vermeiden wollten, grad <strong>in</strong> dessen Nähe zu ziehen pflegen, so waren wir erst dem<br />
Wasser des kle<strong>in</strong>en Dijala gefolgt und ritten nun den Adhem entlang, um <strong>in</strong> der Nähe des<br />
Dschebel Hamr<strong>in</strong> nach Wester umzubiegen und bei Tekrit über den Tigris zu setzen.<br />
Was unsere Ausrüstung betraf, so besaßen wir zwei gute Pferde und vortreffliche Waffen.<br />
Me<strong>in</strong> amerikanischer Henrystutzen hatte schon manchen Gegner <strong>in</strong> Schach gehalten. Dazu als<br />
Proviant mehrere Beutel voll Mehl und Datteln, für unsere Pferde das saftige Grün der<br />
Dschesireh, welcher es <strong>in</strong> der jetzigen Jahreszeit nicht an Regen mangelte – was brauchten wir<br />
mehr!<br />
Es war am Vormittage; die Mündung des Adhem lag weit h<strong>in</strong>ter uns, und schon gegen Abend<br />
hofften wir die Höhen des [138b] Dschebel Hamr<strong>in</strong> zu sehen. Die Steppe, welche <strong>in</strong> der<br />
tropischen Glut des Sommers e<strong>in</strong>e Wüste bildet, glich e<strong>in</strong>em Gras- und Blumengarten, dessen<br />
Blütenstaub die Be<strong>in</strong>e unserer Pferde gelb färbte. Sie bildete hier <strong>in</strong> dieser Gegend ke<strong>in</strong>e<br />
vollständige Ebene; es gab Bodenerhebungen genug, wenn dieselben auch nicht bedeutend<br />
waren, und dazwischen zahlreiche E<strong>in</strong>senkungen, welche oft e<strong>in</strong>e beträchtliche Tiefe und Breite<br />
besaßen. Diese R<strong>in</strong>nen mit den e<strong>in</strong>gefallenen Wänden waren die Überreste des e<strong>in</strong>stigen<br />
Bewässerungssystems, welches die Dschesireh unter persischer Herrschaft zum fruchtbarsten<br />
Land des Reiches gemacht hatte. Auch kamen wir durch e<strong>in</strong>ige größere Thalmulden, welche<br />
wohl selbst noch zur Khalifenzeit als große Wasserreservoirs gedient haben mochten. Etliche<br />
von ihnen waren so tief, daß wir auf ihrem Grunde wie zwischen Bergeshöhen h<strong>in</strong>ritten.<br />
Mitte Dezember, und doch gab es e<strong>in</strong>e Wärme wie <strong>in</strong> Deutschland <strong>im</strong> Juli und August! Die<br />
Pferde begannen allmählich unter derselben zu leiden, und wir machten gegen Mittag Halt, um<br />
sie ausruhen zu lassen. Am Rande e<strong>in</strong>es der erwähnten e<strong>in</strong>stigen Bewässerungsgräben setzten<br />
wir uns <strong>in</strong> das Gras und zogen unsere Tschibuks hervor, um von dem aus Bagdad<br />
mitgebrachten Tabak e<strong>in</strong>e Pfeife zu rauchen. Während wir dies thaten, deutete Halef nach<br />
Osten und sagte:<br />
„Schau, Sihdi (Herr)! S<strong>in</strong>d das nicht Reiter, welche sich dort bewegen?“<br />
Ich saß mit dem Gesichte westwärts gerichtet, drehte mich um, blickte <strong>in</strong> die angedeutete<br />
Gegend und antwortete:<br />
„Ja, es s<strong>in</strong>d, wie es sche<strong>in</strong>t, zwei Reiter, welche e<strong>in</strong> Lastpferd [139a] bei sich haben. Deutlich<br />
kann man es nicht erkennen, weil die Entfernung zu groß ist.“<br />
„Wer werden sie se<strong>in</strong>?“<br />
„Das werden wir erfahren. Sie haben gleiche Richtung mit uns, und da sie langsam reiten,<br />
werden wir sie nachher bald e<strong>in</strong>holen. Da ihre Anzahl nicht größer ist, haben wir von ihnen