im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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„E<strong>in</strong> Christ – aus dem Abendlande – seht die Kleidung – diese Waffen – – dieses Pferd – –<br />
muß sehr tapfer se<strong>in</strong> – – will predigen – bei wem wird er wohnen? bei mir! ne<strong>in</strong>, bei mir! nicht<br />
doch, sondern bei mir – still, ich muß ihn haben!“ so rief es durche<strong>in</strong>ander, bis der Alte diesen<br />
Interjektionen e<strong>in</strong> Ende machte, <strong>in</strong>dem er mich fragte:<br />
„Emir, wo willst du wohnen? Du siehst, daß jeder dich haben will; sie streiten sich um dich.<br />
Bezeichne die Hütte, <strong>in</strong> welche du treten willst! Sie werden auf de<strong>in</strong>en Wunsch achten.“<br />
„Da wir euch allen so willkommen s<strong>in</strong>d“, antwortete ich, „so werden wir euer aller Gäste<br />
se<strong>in</strong> und nicht diejenigen e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen. Wir s<strong>in</strong>d gewohnt, <strong>im</strong> Freien zu schlafen und werden<br />
also ke<strong>in</strong>er Hütte bedürfen.“<br />
Dies sagte ich, weil ich ke<strong>in</strong>en bevorzugen und <strong>in</strong>folgedessen beneiden lassen wollte, und<br />
auch weil ich wußte, daß die Wohnungen dieser Leute e<strong>in</strong>e gewisse kle<strong>in</strong>e sechsbe<strong>in</strong>ige<br />
Bevölkerung besitzen, welcher man se<strong>in</strong>e Haut nicht gern als Speisetafel bietet. Man fügte sich<br />
dieser me<strong>in</strong>er Entscheidung gern und bemächtigte sich e<strong>in</strong>es fetten Hammels, dessen<br />
Best<strong>im</strong>mung es war, die Ankunft des „Emir aus dem Abendlande“ leider mit se<strong>in</strong>em Leben zu<br />
bezahlen.<br />
Daß unser Äußeres diesen Leuten <strong>im</strong>ponierte, war gar ke<strong>in</strong> Wunder, denn wir waren gegen<br />
sie wie Pr<strong>in</strong>zen gekleidet und, so was man sagt, bis an die Zähne bewaffnet. Sie sahen me<strong>in</strong>en<br />
langen Bärentöter, den Henrystutzen, <strong>in</strong> welchem, doch ohne daß sie es wußten,<br />
fünfundzwanzig Schüsse steckten, das Bowiemesser und die beiden Revolver. Halef hatte se<strong>in</strong>e<br />
hübsche Fl<strong>in</strong>te, e<strong>in</strong> Messer und zwei Pistolen. Dazu unsere Pferde! Dort, wo man den Mann<br />
nach se<strong>in</strong>em Pferde und se<strong>in</strong>en Waffen taxiert, mußte man uns für sehr vornehme und sehr<br />
tapfere Herren halten.<br />
Die Kirche stand <strong>in</strong> der Mitte der Hüttenreihe. Vor ihr wurde e<strong>in</strong> Platz als Speisesaal<br />
best<strong>im</strong>mt. Wir beide setzten uns, den Alten <strong>in</strong> der Mitte, dort nieder, und die andern bildeten<br />
von uns aus e<strong>in</strong>en Kreis, auf dessen Mittelpunkte e<strong>in</strong> großes Feuer angezündet wurde, an<br />
welchem bald der ganze Körper des Hammels briet. Nebenan loderte e<strong>in</strong> zweites Feuer, an<br />
welchem die schweigsamen Frauen Kürbis-, Rüben- und andere vegetabilische Speisen zur<br />
Zukost zubereiteten. Schweigsam? Ja, denn sie lauschten während ihrer Arbeit aufmerksam zu<br />
uns [44] herüber, um sich ke<strong>in</strong> Wort von unserm Gespräche entgehen zu lassen. Und das war<br />
freilich hoch<strong>in</strong>teressant.<br />
Zunächst nannte uns der alte Kiaja die Namen se<strong>in</strong>er Leute; ich gab mir ke<strong>in</strong>e Mühe, sie alle<br />
zu merken. Dann erzählte er von den Erlebnissen der Dorfbewohner. Diese waren traurig <strong>im</strong><br />
höchsten Grade, so daß me<strong>in</strong> ganzes Mitleid rege wurde. Auch Halef griff oft nach der Stelle<br />
se<strong>in</strong>es Gürtels, wo die Nilhautpeitsche h<strong>in</strong>g, und rief:<br />
„Wäre ich dabei gewesen, diese Kerls hätten alle me<strong>in</strong>e Kurbatsch bekommen!“<br />
Dann nahm der gute Hadschi Gelegenheit, e<strong>in</strong>iges von unsern Erlebnissen zu erzählen. Er<br />
that dies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bilderreichen Weise, so daß die Zuhörer uns für die größten Helden halten<br />
mußten. Ich h<strong>in</strong>derte ihn nicht daran, weil sie Vertrauen zu uns bekommen sollten, denn ich<br />
hatte mir <strong>im</strong> stillen vorgenommen, ihnen bei der Befreiung ihrer fortgeschleppten Verwandten<br />
behilflich zu se<strong>in</strong>.<br />
Nachher wurde gegessen. Wir beide erhielten den fetten Hammelschwanz als Ehrenteil.<br />
Während wir noch be<strong>im</strong> Essen saßen, sah ich drüben <strong>im</strong> Schiitendorfe mehrere Lichter<br />
auftauchen, welche geschäftig h<strong>in</strong>- und herhuschten. Als ich nach dem Grunde fragte,<br />
antwortete mir der alte Salib:<br />
„Sie feiern heut da drüben den Abend der Fat<strong>im</strong>a, der Erretter<strong>in</strong> aller Frauen und Mädchen<br />
aus der Gefahr. Schir Saffi’s Tochter wurde mit gefangen; sie bef<strong>in</strong>det sich also auch als<br />
Sklav<strong>in</strong> bei den Akrakurden. Da die Schiiten morgen gegen diese ausziehen wollen, so läßt<br />
Schir Saffi heute Abend Fat<strong>im</strong>a bitten, ihm beizustehen, se<strong>in</strong>e Tochter zu befreien.“<br />
„Das möchte ich sehen!“<br />
„Du wirst nicht – – – ah, da kommt er ja!“<br />
E<strong>in</strong> Mann kam über den Bach herübergesprungen und blieb an unserem Kreise stehen. Er<br />
war weit besser gekleidet als die Christen. Se<strong>in</strong> Anzug bestand aus e<strong>in</strong>em weißen Turban,<br />
blauer, gestickter Jacke, roten, weiten Hosen und persischen Halbstiefeln. In se<strong>in</strong>em Gürtel<br />
steckten zwei Revolver und e<strong>in</strong> langer, krummer Handschar. Er richtete aus se<strong>in</strong>em<br />
leichenblassen Gesichte die dunkeln Augen auf Halef und mich und sagte dann zu dem alten<br />
Salib:<br />
„Ihr habt Gäste bekommen? Wer s<strong>in</strong>d diese Männer?“<br />
„Es s<strong>in</strong>d sehr tapfere Krieger und große Helden. Dieser Effendi ist e<strong>in</strong> Emir aus<br />
Germanistan.“