im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Sihdi,“ fragte der Parsi, „wirst Du lange bei diesen Leuten bleiben?“<br />
„Gewiß, e<strong>in</strong>ige Wochen.“<br />
„Ich denke, Du willst mich zu den Anezeh begleiten, weil Du denkst, daß ich alle<strong>in</strong> me<strong>in</strong>en<br />
Vater nicht befreien kann?“<br />
„Ich habe es Dir versprochen und halte me<strong>in</strong> Wort.“<br />
„Aber dann kannst Du Dich kaum e<strong>in</strong>en Tag bei den Haddedihn verweilen. Ich habe Dir<br />
gesagt, daß am fünften des Monats Ssafar die Frist zu Ende ist.“<br />
„Ich reite mit und kehre dann zu ihnen zurück.“<br />
„Der fünfte Tag <strong>im</strong> Ssafar nach Mondsmonaten, ist das heuer nicht der fünfundzwanzigste<br />
Tag <strong>im</strong> Kanun el Auwal (Dezember) nach Sonnenmonaten, Sihdi?“ fragte Halef.<br />
„Ja.“<br />
„Auf diesen Tag fällt doch das Id el Milad (Weihnachtsfest) der Christen!“<br />
„Allerd<strong>in</strong>gs.“<br />
[„] Und Du willst dieses De<strong>in</strong> großes Fest dadurch feiern, daß Du zu den fe<strong>in</strong>dlichen Anezeh<br />
gehst und bei ihnen De<strong>in</strong> Leben wagst?“<br />
„Es gilt die Erlösung e<strong>in</strong>es Unglücklichen und die Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es Mordes. Das ist die<br />
beste Feier e<strong>in</strong>es christlichen Festes.“<br />
„Wohlan, Sihdi, darf ich mit?“<br />
„Ja, Du wirst sehen, daß wir ganz heil zurückkehren werden.“<br />
Da erschien vor uns <strong>im</strong> Norden e<strong>in</strong>e große, dichte Wolke von Reitern, welche schreiend,<br />
jauchzend und ihre Gewehre abschießend auf uns losstürmten. Die Wolke teilte sich, als sie <strong>in</strong><br />
unsere Nähe kam; die Reiter umritten uns und bildeten, als sie hielten, e<strong>in</strong>en Kreis, <strong>in</strong><br />
welchem nur e<strong>in</strong>er von ihnen auf uns zusprengte – Amad el Ghandur, der heldenhafte Scheik,<br />
welcher sich ebenso wie ich vom Pferde warf. Wir umarmten und küßten uns, wobei alle<br />
andern unaufhörlich „Marhababak“, Gruß, Heil! riefen.<br />
Er war das jüngere Ebenbild me<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>stigen Freundes, se<strong>in</strong>es Vaters Mohammed Em<strong>in</strong>,<br />
grad so hoch und breit von Gestalt, mit denselben ernsten, edeln Zügen und, bei e<strong>in</strong>em<br />
Bedu<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e große Seltenheit, e<strong>in</strong>em schönen, dunklen Barte, welcher ihm bis über die Brust<br />
herunterg<strong>in</strong>g. Der Bart se<strong>in</strong>es Vaters war ebenso dicht und lang, aber silberweiß gewesen.<br />
Was soll ich die rührenden Scenen schildern, welche nun folgten! Jeder wollte e<strong>in</strong>en<br />
Händedruck, e<strong>in</strong> Wort von mir, und es dauerte lange, ehe sie umwendeten, um uns <strong>im</strong><br />
Triumphe <strong>in</strong> ihr Lager zu führen. Man schildere diese Leute <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> als halbwild, roh,<br />
unzuverlässig, treulos und so weiter! Wer sie genau kennt, der weiß, daß sie es nicht s<strong>in</strong>d. Sie<br />
s<strong>in</strong>d Freund dem Freunde, Fe<strong>in</strong>d dem Fe<strong>in</strong>de und zwar das dann auch <strong>in</strong> jeder Beziehung und<br />
mit dem ganzen Herzen. Freilich, wer zu ihnen kommt, ohne die Berechtigung ihrer Eigenart<br />
gelten lassen zu wollen, wer da glaubt, von der hohen Plattform se<strong>in</strong>er Bildung aus auf sie<br />
herabblicken, sie als pfiffiger Händler aussaugen oder ihnen beweisen zu können, daß<br />
Mohammed ke<strong>in</strong> Prophet, sondern e<strong>in</strong> sich selbst betrügender Phantast gewesen ist, der hat<br />
sich <strong>in</strong> ihnen geirrt und wird ihre guten Seiten niemals kennen lernen.<br />
Und welche Aufregung erst <strong>im</strong> Duar, <strong>im</strong> Zeltdorfe, als wir <strong>in</strong> dasselbe gelangten! Die Männer<br />
waren uns entgegen gekommen; nun kamen die Frauen alt und jung, die Knaben und [145b]<br />
die Mädchen! Der Scheik wollte, um mich von ihnen zu befreien, mich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zelt drängen;<br />
aber das g<strong>in</strong>g nicht an; ich wurde von zehn, von zwanzig Händen <strong>in</strong> den Schwarm<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen und nicht eher freigegeben, bis auch der kle<strong>in</strong>ste Nacktfrosch wenigstens e<strong>in</strong>en<br />
freundlichen Klaps von me<strong>in</strong>er Hand bekommen hatte. Erst dann konnte Amad el Ghandur<br />
mich als se<strong>in</strong>en Gast betrachten.<br />
Und nun g<strong>in</strong>g das Schlachten los. Es gab Festtag, und gar mancher arme, fette Hammel<br />
mußte me<strong>in</strong>e Ankunft mit se<strong>in</strong>em edlen Leben bezahlen. Aber so ist der Lauf der Welt: Die<br />
Freude des e<strong>in</strong>en ist des andern Schmerz! Dann saßen wir vier Gäste mit dem Scheik be<strong>im</strong><br />
leckern Mahle, wobei nach alt ehrwürdiger Vätersitte die fünf F<strong>in</strong>ger als Löffel und Gabel<br />
benutzt wurden; sie rosten nicht, obgleich sie meist ungeputzt bleiben.<br />
Und nun konnte die Rede auch auf das Woher, Woh<strong>in</strong> und Warum kommen. Ich erzählte<br />
Amad von dem Parsi und se<strong>in</strong>em Vater. Als er den Fall angehört hatte, sagte er:<br />
„Es ist gut, daß Du, Freund me<strong>in</strong>er Seele, nicht sofort zu den Anezeh gegangen, sondern<br />
vorher zu mir gekommen bist. Es wäre De<strong>in</strong> Tod gewesen, denn sie s<strong>in</strong>d ergr<strong>im</strong>mt auf alles,<br />
was nicht Bedu<strong>in</strong>e heißt. Der Mukessarif hat se<strong>in</strong>e Soldaten zu ihnen gesandt, um die<br />
Kopfsteuer mit Gewalt e<strong>in</strong>zutreiben; er hat ihnen die schönsten und besten Tiere ihrer Herden<br />
fortführen lassen; nun drohen sie jedem Fremden mit dem Tode, denn jeder Fremde gilt bei<br />
ihnen als Türke. Dieser Wikrama, den Ihr loskaufen wollt, wird nicht frei gegeben, selbst wenn