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im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...

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ihnen. Scheri Schir erhob sich und die andern mit ihm. Sie alle gaben mir die Hände, und ich<br />

mußte mich zu ihnen setzen.<br />

„Was habt ihr über mich beschlossen?“ frug ich den Nazanum. [Nezanum]<br />

„Die Morgenröte leuchtet über dir,“ antwortete er. „Du bist sicher, so lange du dich <strong>in</strong><br />

unserem Dorfe bef<strong>in</strong>dest.“<br />

„Ich danke dir! Ich werde auch dann noch sicher se<strong>in</strong>, wenn ich morgen das Dorf verlassen<br />

habe. Sieh das erste Blatt dort an dem Eichenzweige. Sechsmal werde ich schießen, und sechs<br />

Löcher werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geraden Reihe <strong>im</strong> Blatte se<strong>in</strong>.“<br />

Ich zog den Revolver hervor und schoß. Nach dem sechsten Schusse sprangen alle auf. Das<br />

Blatt wurde abgeschnitten und g<strong>in</strong>g aus e<strong>in</strong>er Hand <strong>in</strong> die andere. Das Staunen dieser Männer<br />

läßt sich nicht beschreiben. Sie konnten diese Sicherheit des Schusses ebensowenig begreifen,<br />

wie den für sie geradezu wunderbaren Umstand, daß ich zu schießen vermochte, ohne zu<br />

laden. Me<strong>in</strong> Ansehen wuchs ebenso rapid wie die Furcht, die sie vor mir empfanden. Nur nach<br />

langer Verwunderung nahmen sie ihre vorigen Plätze wieder e<strong>in</strong>. Hamsa Mertal holte mir e<strong>in</strong>e<br />

Pfeife, und ich mußte nun erzählen, wie ich es ja se<strong>in</strong>em Vater am Morgen versprochen hatte.<br />

Die Unterhaltung wurde erst mit dem Mogreb 39 beendet, an dem ich mich beteiligte. Gott ist<br />

über alle Dogmen erhaben; er rechnet es dem Christen nicht zur Sünde, wenn dieser zwischen<br />

Mohammedanern zu ihm betet.<br />

Nachdem die hervorragendsten der Krieger zum Abendmahle e<strong>in</strong>geladen waren, kehrten wir<br />

drei <strong>in</strong> das Haus zurück. Me<strong>in</strong>e beiden Begleiter waren mit dem Füttern der Pferde beschäftigt,<br />

und Schefaka erwartete uns mit dem Kahweh 40 . Während wir rauchten und tranken, errichtete<br />

sie aus zwei Pfählen, e<strong>in</strong>er Querstange und e<strong>in</strong>igen Decken e<strong>in</strong>e Art spanischer Wand, h<strong>in</strong>ter<br />

welcher sie mit dem K<strong>in</strong>de verschwand. Nach e<strong>in</strong>igen Augenblicken vernahm ich e<strong>in</strong> leises<br />

Flüstern und dann die helle, klare St<strong>im</strong>me des kle<strong>in</strong>en Mädchens. Langsam und deutlich<br />

erklang es:<br />

„Tis – ti – tut – te – täch – tig –teit –tis – tei – tuk –tun – te – ten –teit – – –“<br />

[354b] Was war das?! Hatte ich richtig gehört, oder ließ me<strong>in</strong>e Phantasie mir diesen<br />

k<strong>in</strong>dlichen Stammellauten e<strong>in</strong>e falsche Bedeutung geben? Kurdisch war das nicht, persisch,<br />

arabisch, türkisch auch nicht. Hatte ich nicht selbst ganz ähnliche Laute gestammelt, <strong>in</strong> der<br />

Armen der alten, lieben Großmama, wenn sie mich zu Bette legte, als ich noch nicht reden<br />

konnte? Ich lauschte weiter. Mir wurde ganz eigentümlich zu Mute; der Atem und der Puls<br />

wollte mir stille stehen.<br />

„Was thut das K<strong>in</strong>d?“ frug ich leise.<br />

„Es betet,“ antwortete Hamsa Mertal, „denn es geht schlafen.“<br />

„Was betet es?“<br />

„Das Gebet des Vaters me<strong>in</strong>es Weibes.“<br />

„Wo ist er? Wo lebt er?“<br />

„Er ist tot.“<br />

„War er e<strong>in</strong> Moslem?“<br />

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gekannt.“<br />

„Verzeihe mir! Wo nahmst du de<strong>in</strong> Weib?“<br />

„Ich nahm sie mit, als wir bei den Abu Salman-Arabern e<strong>in</strong>fielen.“<br />

„Darf ich sie fragen?“ bat ich, als <strong>in</strong> diesem Augenblicke Schefaka wieder h<strong>in</strong>ter dem<br />

Schirme hervortrat.<br />

„Frage sie!“<br />

„Sage mir, Morgenröte, was de<strong>in</strong> Liebl<strong>in</strong>g jetzt gebetet hat!“<br />

„Das Gebet, welches me<strong>in</strong> Vater mich lehrte,“ antwortete sie errötend.<br />

„Wie lautet es?“<br />

„Es ist e<strong>in</strong>e fremde Sprache, welche ich nicht kenne. Du wirst sie auch nicht verstehen.“<br />

„O, sage nur das Gebet! schnell, schnell!“<br />

Die faltete die Hände, senkte verwirrt die Augen und rezitierte, wenn auch mit fremder<br />

Betonung und fehlerhaft, aber für e<strong>in</strong>en deutschen <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> verständlich:<br />

„Christi Blut und Gerechtigkeit<br />

Ist me<strong>in</strong> Schmuck und Ehrenkleid.<br />

Damit will ich vor Gott bestehn,<br />

Wenn ich <strong>in</strong> den H<strong>im</strong>mel werd’ e<strong>in</strong>gehn.<br />

Amen!“<br />

39<br />

Gebet be<strong>im</strong> Sonnenuntergang.<br />

40<br />

Kaffee.

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