im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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Wem dieser Spektakel galt, das sahen wir auch, denn unser armer Husse<strong>in</strong> Isa war an den<br />
Stamm des Baumes festgeschnürt.<br />
„Dort haben sie ihn,“ sagte der Hadschi. „Wie kommen wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, und wie br<strong>in</strong>gen wir ihn<br />
los und heraus, wir zwei alle<strong>in</strong> bei so vielen Menschen, Sihdi?“<br />
„Zunächst müssen wir h<strong>in</strong>, wenn auch noch nicht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>,“ antwortete ich.<br />
Wir glitten von unserm Ahorn herab und schlichen uns, nachdem ich me<strong>in</strong> Gewehr wieder<br />
aufgenommen hatte, außerhalb der E<strong>in</strong>fassung h<strong>in</strong>, um die erste Ecke an der dortigen Seite<br />
h<strong>in</strong>auf, um die nächste Ecke und dann jenseits weiter, bis wir die Stelle erreichten, über<br />
welche die dr<strong>in</strong>nen stehende Pistazie ihren Wipfel breitete.<br />
Wir hörten jenseits der E<strong>in</strong>fassung die Kurden lärmen, konnten sie aber nicht sehen, da hier<br />
außerhalb des Lagers auch e<strong>in</strong>e Lichtung gewesen war, welche nun zwar wieder Bäume trug,<br />
aber so dünnstämmige und niedrige, daß, falls [172] wir sie auch hätten besteigen können<br />
und wollen, dies gar nichts genützt hätte. Er gab da nur e<strong>in</strong>en Weg, nämlich durch die<br />
Umfassung, welche wir zu diesem Zwecke untersuchen mußten.<br />
Die Stämme waren ebenso mit samt den Wipfeln niedergelegt wie drüben bei den Mir<br />
Yussufi. Da wir nicht durch die Stämme konnten, mußten wir uns e<strong>in</strong>e Wipfelstelle suchen. Das<br />
Glück war uns günstig. Grad zwischen uns und der Pistazie lag die nicht sehr dichte Krone<br />
e<strong>in</strong>er Haur-Pappel, also e<strong>in</strong>es Baumes, dessen weiches Holz unsern Messern nicht sehr zu<br />
widerstehen vermochte. Ich legte das Gewehr wieder ab; dann knieten wir nieder, zogen die<br />
Messer und begannen, die Zweige und dünneren Äste <strong>in</strong> der Weise zu zerschneiden, daß wir<br />
uns dadurch e<strong>in</strong>en wohl zwei Ellen breiten und auch über e<strong>in</strong>e Elle hohen Zugang öffneten.<br />
Diese Stelle hier war vielleicht die e<strong>in</strong>zige schwache der ganzen, weiten Umfriedung.<br />
Nach e<strong>in</strong>er Viertelstunde waren wir so weit, daß wir, wenn wir nicht von <strong>in</strong>nen gesehen<br />
werden wollten, die noch übrigen Äste stehen lassen mußten. Natürlich hatten wir nicht bloß<br />
den betreffenden Teil des Pappelwipfels, sondern auch die Unkraut- und sonstige lebende<br />
Vegetation, mit welcher derselbe sehr dicht durchwachsen war, zu entfernen gehabt. Wir<br />
konnten nun, dank unserer Arbeit, nicht nur sehen, sondern auch hören. Sehen, das durfte ich<br />
eigentlich von mir nicht sagen, denn die Kompresse war wieder trocken geworden; der<br />
Schmerz <strong>in</strong> dem verletzten Auge war fast unausstehlich und griff auch das gesunde Auge <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Weise an, daß ich es mehr geschlossen als offen halten mußte.<br />
Die Pistazie stand vielleicht zwölf Meter von uns entfernt. Jenseits derselben hielt das „Volk“<br />
der Kurden; diesseits stand der heute von uns zurückgewiesene Scheik mit noch vier Männern,<br />
welche wahrsche<strong>in</strong>lich se<strong>in</strong>en „Geme<strong>in</strong>derat“ bildeten. Das „Volk“ war jetzt still, desto lauter<br />
aber sprachen die Herren vom „Rate“. Sie schienen sich zur Entscheidung über das Schicksal<br />
des Gefangenen zurückgezogen zu haben. Eben, als wir uns festgelegt hatten, um zu lauschen,<br />
hörten wir den Scheik sagen:<br />
„Er ist stolz darauf, getauft zu se<strong>in</strong> und sich zum Salib Isa (Kreuz Christi) zu bekennen. Er<br />
hat e<strong>in</strong>gestanden, den fremden Effendi zu kennen, der unsere Hunde, unsere Pferde und sogar<br />
auch e<strong>in</strong>en unserer Krieger erschossen hat. Er ist außerdem e<strong>in</strong> verdammter Schiit und Sohn<br />
der Mir Yussufi, deren Blut wir tr<strong>in</strong>ken müssen. Außerdem nennt er das Weib, welches die<br />
heutigen Verluste über uns brachte, se<strong>in</strong>e Mutter. Er muß sterben, und da er das Salib Isa gar<br />
so hoch verehrt, so soll er die Süßigkeit desselben schmecken und am Kreuze enden. Wer<br />
etwas dagegen hat, der melde sich!“<br />
Sie meldeten sich, aber nicht dagegen, sondern sie jubelten alle diesem unmenschlichen<br />
Vorschlage ihren Beifall zu.<br />
„H<strong>in</strong>auf mit ihm ans Kreuz! Baut e<strong>in</strong> Kreuz! Gekreuzigt muß er werden!“ so riefen e<strong>in</strong>ige<br />
hundert St<strong>im</strong>men frohlockend durche<strong>in</strong>ander.<br />
„Nicht bauen!“ übertönte sie der Scheik. „E<strong>in</strong>en starken Pfahl quer an den Stamm des<br />
Baumes, an welchem er steht, so ist das Kreuz gleich fertig.“<br />
Es erfolgte neuer Jubel, während dessen mich Halef fragte:<br />
„Ist das nicht teuflisch, Sihdi? Hole schnell De<strong>in</strong>en Stutzen! Wir müssen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, sofort<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>!“<br />
„Ne<strong>in</strong>,“ antwortete ich, „denn das wäre zu unserm Verderben. Es s<strong>in</strong>d zu viele gegen uns<br />
zwei. Wir würden ihn nicht retten können, sondern mitsterben müssen.“<br />
„Aber was thun wir dann?“<br />
„Ich eile zu den Mir Yussufi, welche unbed<strong>in</strong>gt helfen müssen. Hoffentlich kommen wir zur<br />
rechten Zeit. Du bleibst zurück, um uns gegebenen Falles berichten zu können, was <strong>in</strong>zwischen<br />
vorgegangen ist.“<br />
„So bleibe ich hier <strong>in</strong> dieser Lücke liegen?“