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im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...

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Benzigers Marienkalender / 1897<br />

Der Kys-Kaptschiji.<br />

Reiseerlebnisse von Dr. <strong>Karl</strong> <strong>May</strong>.<br />

Zweiter Teil<br />

[180a] Wir ritten genau anderthalbe Meile <strong>im</strong> rechten W<strong>in</strong>kel vom Flusse ab nach Süden<br />

und kehrten dann um. Die Gegend dort ist gebirgig und sehr schatten- und wasserreich.<br />

Darum wird sie <strong>im</strong> Hochsommer von den Kurden, die <strong>im</strong> W<strong>in</strong>ter die Ebene bewohnen,<br />

aufgesucht, während die wandernden Araberstämme, wann um dieselbe Zeit die Steppe<br />

ausgedorrt ist, <strong>in</strong> die Nähe des Tigris ziehen. Infolgedessen ist es <strong>in</strong> der heißen Jahreszeit nicht<br />

ungefährlich, am Flusse zu reisen, denn so gastfrei und aufopfernd der Kurde se<strong>in</strong>en Freunden<br />

gegenüber ist, den Fremden hält er für gute Beute; das weiß er nicht anders, das ist <strong>in</strong> jenen<br />

Gegenden seit Menschengedenken so und nicht anders gewesen. Auch wir mußten<br />

aufmerksam und vorsichtig se<strong>in</strong>. Ich hatte e<strong>in</strong>igen Kurdenstämmen gegen andere gute Dienste<br />

geleistet; die ersteren waren me<strong>in</strong>e Freunde, die letzteren dafür me<strong>in</strong>e Todfe<strong>in</strong>de, und wenn<br />

wir e<strong>in</strong>em von diesen <strong>in</strong> die Hände gerieten, so war es unbed<strong>in</strong>gt um uns geschehen. Zu ihnen<br />

gehörte auch der Stamm der Schirwani, dem wir vorh<strong>in</strong> so glücklich entgangen waren.<br />

Die Sonne wollte h<strong>in</strong>ter den westlichen Bergen verschw<strong>in</strong>den; wir hatten den Rückweg<br />

be<strong>in</strong>ahe vollendet und konnten uns nicht mehr weit vom Zab bef<strong>in</strong>den. Wir ritten [180b] durch<br />

e<strong>in</strong> kurzes Thal, dessen Wände sehr steil zum H<strong>im</strong>mel stiegen, und sahen zwischen<br />

umhergestreuten Felsbrocken e<strong>in</strong>en Hirten sitzen, welcher e<strong>in</strong>ige armselige Ziegen<br />

beaufsichtigte. Der Mann mußte sehr arm se<strong>in</strong>, denn se<strong>in</strong>e hemdähnliche Bekleidung war<br />

vielfach zerrissen und vermochte nur halb, se<strong>in</strong>e Blöße zu bedecken. Auf se<strong>in</strong>em wirrhaarigen<br />

Kopfe saß e<strong>in</strong>e jener kurdischen Ledermützen, welche häßlichen, vielbe<strong>in</strong>igen Sp<strong>in</strong>nen<br />

gleichen, <strong>in</strong>dem zahlreiche Riemen an allen Seiten herunterhängen.<br />

„Aaleikum eselahm u rahmet Chodeh – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit<br />

Euch!“ rief er uns zu, <strong>in</strong>dem er se<strong>in</strong>e dürre Hand bettelnd nach uns ausstreckte. „Schenkt mir<br />

e<strong>in</strong>e Gabe! Katera Chodeh – um Gotteswillen!“<br />

Wir ritten zu ihm h<strong>in</strong>; ich griff <strong>in</strong> die Tasche und gab ihm e<strong>in</strong>ige Piaster.<br />

„Chodeh da-uleta teh mehz<strong>in</strong> bikeh, ßoyuhle teh rahst b<strong>in</strong>e – Gott vermehre De<strong>in</strong>en<br />

Reichtum und stehe Dir bei <strong>in</strong> De<strong>in</strong>en Geschäften!“ bedankte er sich demütig.<br />

„Du bist e<strong>in</strong> Kurde?“ fragte ich.<br />

„Ja, Chodieh.“<br />

„Von welchem Stamme?“<br />

„Ich gehöre zu ke<strong>in</strong>em; ich b<strong>in</strong> alt und ausgestoßen.“<br />

Das erbarmte mich. Ich erkundigte mich weiter:<br />

„Wovon lebst Du?“<br />

„Von Wurzeln und von der Milch, welche mir diese drei kle<strong>in</strong>en Ziegen geben. Me<strong>in</strong> Weib<br />

liegt krank.“<br />

„Wo?“<br />

„Dr<strong>in</strong>nen.“<br />

Er deutete h<strong>in</strong>ter sich, wo ich e<strong>in</strong> Loch <strong>im</strong> Felsen sah.<br />

„Gott, welche Wohnung! Darf ich sie sehen? Vielleicht weiß ich e<strong>in</strong> Mittel, ihr zu helfen.“<br />

„Geh h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, Chodieh, und Allah mag ihr beistehen!“<br />

Ich stieg vom Pferde, gab Halef, der auch aus dem Sattel sprang, me<strong>in</strong> Pferd und me<strong>in</strong>e<br />

Gewehre und g<strong>in</strong>g nach dem Loche. Es war manneshoch, aber sehr schmal. Als ich e<strong>in</strong>ige Ellen<br />

weit e<strong>in</strong>gedrungen war, fühlte ich l<strong>in</strong>ks und rechts Seitenlöcher. Wo war die Frau? Es herrschte<br />

völliges Dunkel hier. Ich rief und hörte e<strong>in</strong>e St<strong>im</strong>me gerade vor mir antworten. Nach e<strong>in</strong>igen<br />

Schritten wurde [180c] es hell vor mir; ich sah e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Licht vor mir brennen, bekam aber<br />

zu gleicher Zeit e<strong>in</strong>en so gewaltigen Hieb auf den Kopf, daß ich auf das Gesicht niederstürzte.<br />

„Meded, meded, ya Sihdi!“ hörte ich noch draußen Halef rufen, dann hatte ich die Bes<strong>in</strong>nung<br />

verloren.<br />

Wie lange ich gelegen habe, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mit kam, fühlte ich, daß ich<br />

mich <strong>in</strong> Bewegung befand. Die Arme waren mir nach dem Rücken zu festgebunden und die<br />

gefesselten Kniee weit an den Leib heraufgezogen. Sehen konnte ich nicht, denn man hatte<br />

mir die Augen verhüllt. Ich schien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kamelkorbe zu stecken.

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