im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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und schnell und erhob mich dann, aber zu spät; der <strong>in</strong> der Erde steckende Teil des Schaftes<br />
war angefault; er zerbrach, und das starke und wohl fünf Ellen hohe Krucifix stürzte derart<br />
nach unserer Seite herüber, daß es den Kapitän am Kopfe traf. Dieser stieß e<strong>in</strong>en Schrei des<br />
Schmerzes und des Ärgers aus, sprang auf und folgte mir schnell um die Ecke des Bosquets<br />
nach der andern Seite, wo die beiden Männer standen.<br />
In dem e<strong>in</strong>en erkannte ich <strong>in</strong>folge se<strong>in</strong>er Habichtsnase und anderweiten Gesichtsbildung<br />
sofort den Armenier. Er trug e<strong>in</strong>e Schaffellmütze, kurze Jacke, weite Hosen und hohe<br />
Schaftstiefel; <strong>im</strong> Gürtel hatte er e<strong>in</strong> Messer stecken. Der andere war, wie es schien, e<strong>in</strong><br />
Bedu<strong>in</strong>e. Ich schätzte se<strong>in</strong> Alter gegen fünfzig Jahre. Die lange, starkknochige Gestalt war <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en weissen Burnus gehüllt. Auf dem Kopfe saß der rote Fez, um welchen e<strong>in</strong> Turbantuch<br />
von derselben Farbe gewickelt war. Das hagere Gesicht war dasjenige e<strong>in</strong>es starr und bl<strong>in</strong>d<br />
gläubigen Muhammedaners. Er zeigte sich über unser Ersche<strong>in</strong>en gar nicht war erschrocken,<br />
sondern blickte uns mit se<strong>in</strong>en dunkeln, stechenden Augen be<strong>in</strong>ahe höhnisch entgegen.<br />
„Was fällt Euch e<strong>in</strong>!“ rief der zornige Kapitän <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em amerikanischen Englisch. „Wie könnt<br />
Ihr es wagen, dieses Kreuz um- und auf mich zu werfen!“<br />
„Was will dieser Mann?“ fragte der Moslem, <strong>in</strong>dem er sich an se<strong>in</strong>en Begleiter wendete,<br />
welchen er wohl als Dolmetscher bei sich hatte. An Stelle desselben antwortete ich:<br />
„Du hast soeben etwas gethan, was hier zu Lande streng bestraft wird. Du hast das Bild des<br />
Gekreuzigten geschändet, und wenn wir Dich bei der Obrigkeit anklagen, wird man Dich <strong>in</strong> das<br />
Gefängnis werden.“<br />
Er maß mich mit e<strong>in</strong>em vernichtend se<strong>in</strong> sollenden Blicke vom Kopfe bis zu den Füßen und<br />
fragte:<br />
[164] „Wer bist Du, daß Du es wagst, <strong>in</strong> dieser Weise mit mir zu sprechen?“<br />
„E<strong>in</strong> Christ b<strong>in</strong> ich, und als solcher habe ich die Verpflichtung, e<strong>in</strong>e That, wie die De<strong>in</strong>ige ist,<br />
dem Richter anzuzeigen.“<br />
„E<strong>in</strong> Christ bist Du? Und doch sprichst Du die Sprache der Gläubigen wie e<strong>in</strong> echter Moslem?<br />
Dann gleichst Du der Schlange, deren Zunge zwei Spitzen hat und giftig ist. Du kennst mich<br />
nicht und wirst auch nie die Gnade erfahren, daß me<strong>in</strong> Name an De<strong>in</strong>e Ohren kl<strong>in</strong>gt; aber ich<br />
sage Dir so viel, daß ich e<strong>in</strong> Mann b<strong>in</strong>, welcher gewohnt ist, verächtlich auszuspucken, wenn<br />
e<strong>in</strong> räudiger Christenhund ihn anbellt.“<br />
Er spuckte dre<strong>im</strong>al vor mit aus, und zwar so, daß er mich be<strong>im</strong> dritten Male traf. Nun, ich<br />
b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> sehr ruhiger Mensch und pflege mich nicht vom Zorne fortreißen zu lassen; wenn ich<br />
e<strong>in</strong>er Beleidigung e<strong>in</strong>e ebenso schnelle, wie kräftige Antwort folgen lasse, so geschieht dies<br />
nicht <strong>in</strong> jäher Aufregung, sondern aus Selbstachtung. Hier nun war nicht bloß ich beleidigt,<br />
sondern der Mann hatte des Heiligste, was e<strong>in</strong> Christ <strong>in</strong> sich trägt, verhöhnt, und die Art und<br />
Weise se<strong>in</strong>es Angriffes ließ ke<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>e Abwehr, etwa <strong>in</strong> zierlich gesetzten Worten, zu. Kaum<br />
hatte se<strong>in</strong> Geifer me<strong>in</strong>en Rock berührt, so saß ihm me<strong>in</strong>e Faust <strong>im</strong> Gesichte, und er stürzte zu<br />
Boden. Er raffte sich schnell auf und griff nach mir, doch schnell hatte Turnerstick ihn be<strong>im</strong><br />
Nacken, drückte ihn wieder nieder und rief mir zu:<br />
„Charley, holt Polizei! Ich beschlagseis<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>dessen dem Kerl die Segel so fest, daß er<br />
b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er Stunde nicht um e<strong>in</strong>en halben Zoll vorwärts kommen soll.“<br />
Der Dolmetscher war so perplex, daß er sich nicht rührte. Ich zauderte, der Mahnung des<br />
Kapitäns Folge zu leisten. Vielleicht hätte ich den Moslem mit der bisherigen Lehre entkommen<br />
lassen; aber da näherte sich, gerade wir gerufen, e<strong>in</strong> Garten<strong>in</strong>tendant, welcher, als er die<br />
ungewöhnliche Gruppe bemerkte, rasch herbeikam und sich nach der Veranlassung<br />
erkundigte. Indem Turnerstick mit se<strong>in</strong>en Seemannsfäusten den Überthäter noch <strong>im</strong>mer fest<br />
am Boden hielt, erzählte ich, was geschehen war. Der Dolmetscher versuchte, zu beschönigen,<br />
hatte aber angesichts des umgestürzten Kreuzes ke<strong>in</strong>en Erfolg. Das Ergebnis war, daß wir dem<br />
Beamten zum Direktor folgen mußten. Dieser nahm me<strong>in</strong>e und des Kapitäns Aussage entgegen<br />
und entließ uns dankend; die beiden andern behielt er bei sich, um sie, wie er sagte, streng zu<br />
bestrafen.<br />
Wir befanden uns <strong>in</strong> der Nähe des Ausganges des Gartens, wo es e<strong>in</strong> Restaurant gab. Dort<br />
setzten wir uns <strong>im</strong> Freien an e<strong>in</strong>en leeren Tisch, um e<strong>in</strong> Glas We<strong>in</strong> zu tr<strong>in</strong>ken. Nach ungefähr<br />
e<strong>in</strong>er Viertelstunde sahen wir zu unserm Erstaunen die beiden Schuldigen kommen, frei, mit<br />
dem Ausdrucke der Befriedigung <strong>in</strong> den Gesichtern. Sie erblickten uns. Der Muselmann kam<br />
herbei, blieb, doch <strong>in</strong> vorsichtiger Entfernung, vor mir stehen und zischte mich gr<strong>im</strong>mig an:<br />
„Zwanzig Franken Strafe, die schenke ich Frankreich gern; Dir aber ist nichts geschenkt! Du<br />
hast e<strong>in</strong>en Moslem geschlagen, und ke<strong>in</strong> christliches Kreuz soll Dich vor me<strong>in</strong>er Rache<br />
schützen!“