im Reprint enthaltenen Geschichten in einer PDF - Karl-May ...
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„So wart' e<strong>in</strong>en Augenblick!“<br />
Der Mann erbarmte mich. Ich fragte ihn, ob er lesen könne; er bejahte es. Ich zog<br />
me<strong>in</strong> Notizbuch hervor, <strong>in</strong> der Hand e<strong>in</strong>es Bettlers gewiß e<strong>in</strong> seltener Gegenstand, riß e<strong>in</strong><br />
Blatt [166b] heraus und schrieb darauf, natürlich <strong>in</strong> arabischer Sprache:<br />
„Der Kutb kann Dir nicht helfen; es giebt ke<strong>in</strong>en Kutb und ke<strong>in</strong>en Helfer außer Gott.<br />
Ich, der Bettler, b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Moslem, sondern e<strong>in</strong> Christ; dennoch gebe ich Dir das Geld,<br />
denn Du bist me<strong>in</strong> Bruder, weil alle Menschen Gottes K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d.“<br />
Diesen Zettel legte ich <strong>in</strong> den Beutel, den mir der Wasserträger gebracht hatte, band<br />
ihn fest zu und gab ihn dem Manne h<strong>in</strong>:<br />
„Hier n<strong>im</strong>m! Wenn Du mir gehorchest, f<strong>in</strong>dest Du vielleicht Erhörung De<strong>in</strong>er Bitte.<br />
Wirst Du thun, was ich Dir sage?“<br />
„Was soll ich thun?“<br />
„Du steckst diesen Beutel jetzt e<strong>in</strong> und öffnest ihn nicht eher als morgen genau nach<br />
dem Nachmittagsgebete.“<br />
„Eher nicht?“<br />
„Ne<strong>in</strong>, wenn Du wirklich Hilfe erwartest.“<br />
„Ich werde thun, was Du begehrst, o Schahad; das verspreche ich Dir bei me<strong>in</strong>em<br />
Barte und bei allen denen, nach denen ich mich sehne. Erhalte ich Hilfe, so sehen wir uns<br />
wieder, denn ich kehre hierher zurück, um dem Kutb zu danken.“<br />
Er steckte den Beutel e<strong>in</strong> und g<strong>in</strong>g. Ich hatte aus Mitleid und nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gebung des<br />
Augenblicks gehandelt. Oeffnen sollte er den Beutel erst morgen, weil es für mich höchst<br />
gefährlich gewesen wäre, wenn er schon heut erfahren hätte, daß ich ke<strong>in</strong> Moslem war.<br />
Das, was an diesem Tage weiter geschah, ist hier von ke<strong>in</strong>er Bedeutung; er verlief für<br />
mich ganz glücklich, während es andern Fremden traurig erg<strong>in</strong>g. Als es dunkel geworden<br />
war, machte ich mich nach dem Bettlerhause auf, <strong>in</strong> welches ich mit Hilfe des Schlüssels<br />
gelangte. Dort erwartete mich Abu Gibrail, wie er versprochen hatte. Er war doch sehr <strong>in</strong><br />
Sorge um mich gewesen. Man hatte se<strong>in</strong>e ganze Wohnung e<strong>in</strong>igemal nach mir<br />
durchsucht und auch me<strong>in</strong>e Sachen gesehen, sie aber glücklicherweise gar nicht<br />
beachtet.<br />
Wir krochen durch das Loch, um <strong>in</strong> das große Vorderhaus zu gelangen. Dort führte er<br />
mich nach dem Z<strong>im</strong>mer, <strong>in</strong> welchem ich gestern gewesen war und geschlafen hatte. Er<br />
brachte mir da e<strong>in</strong>en Spiegel. Als ich <strong>in</strong> demselben me<strong>in</strong> Gesicht erblickte, wunderte ich<br />
mich nicht darüber, daß mich niemand erkannt hatte; ich sah schrecklich aus. Der Diener<br />
mußte Wasser und Seife br<strong>in</strong>gen, und nach e<strong>in</strong>igem Bemühen gelang es mir, wieder zu<br />
me<strong>in</strong>em eigentlichen Aussehen zu kommen.<br />
„Du wirst noch e<strong>in</strong>ige Tage me<strong>in</strong> Gast se<strong>in</strong> müssen, Effendi,“ sagte der Hausherr. „Die<br />
Bewegung des heutigen Tages muß sich erst legen. Du kannst unmöglich schon fort.“<br />
„Wird es so schnell vorübergehen?“<br />
„Ich hoffe es, weil der Khedive auf die Bed<strong>in</strong>gungen Arabi Paschas e<strong>in</strong>gegangen ist.<br />
Dadurch hat er vielen, vielen Europäern, welche sonst ganz gewiß getötet worden wären,<br />
das Leben erhalten.<br />
„Aber darf ich Dich belästigen?“<br />
„Es ist ke<strong>in</strong>e Belästigung, sondern e<strong>in</strong>e Freude für mich, da ich Dir me<strong>in</strong> Gehe<strong>im</strong>nis<br />
nun e<strong>in</strong>mal habe offenbaren müssen. Du sollst bei mir <strong>in</strong> dem Hause wohnen, dessen<br />
Tochter und andere Bewohner Du durch De<strong>in</strong>e Weisheit so glücklich gemacht hast. E<strong>in</strong>e<br />
gute, passende Kleidung werde ich Dir zunächst leihen; dann, wenn Du ohne Gefahr für<br />
Dich ausgehen kannst, magst Du die De<strong>in</strong>ige tragen.“<br />
Ich wohnte sechs Tage bei ihm; dann konnte ich Kairo verlassen. Am fünften Tage<br />
g<strong>in</strong>g ich zum erstenmale aus. Eben trat ich aus dem Thore, da kam der Soldat die Gasse<br />
herab, dem ich den Beutel gegeben hatte. Er [166c] wollte an mir vorüber, ohne mich zu<br />
erkennen; da sagte ich zu ihm:<br />
„Halt, Du Diener der Okba-Moschee zu Kaïrwan! Hat Dir der Kutb geholfen?“<br />
Er blieb stehen und starrte mich an, ohne zu antworten.<br />
„Hast Du den Beutel geöffnet, den Dir der Bettler gab, der ke<strong>in</strong> Moslem, sondern e<strong>in</strong><br />
Christ war?“<br />
„Ja,“ antwortete er, <strong>in</strong>dem se<strong>in</strong> Blick noch <strong>im</strong>mer forschend an me<strong>in</strong>em Gesichte h<strong>in</strong>g.<br />
„War die erbetene Hilfe dr<strong>in</strong>?“<br />
„Ja; es waren achtzehnhundert Piaster.“