Haft und Politische Polizei in Thüringen 1945–52 - Einschluss.de

manu-vorgeschichte.qxd 09.03.05 16:34 Seite 145
145
Barth, dem Oberlandesgerichts-Präsidenten, teil. Kunz notierte sich dort 323:
„Der Russe war äußerst ungehalten über die zu langsame Arbeitsweise
und die zu milden Urteile,
Droht an, Richter vor Kriegsgericht zu stellen wegen Sabotage“
Barth muss sich zu diesem „Ungehalten-Sein“ schon Gedanken gemacht
haben, denn am Vortage hatte er ein Rundschreiben verfasst, in dem er
acht Urteile als zu mild kritisierte und mehrjährige Internierungsstrafen
forderte. 324
In den nächsten Monaten folgten in Kunz‘ Großer 201-Kammer nichtsdestotrotz
weitere Freisprüche oder Bewährungsstrafen. Das Spektrum
dafür zeigt sich in folgenden Beispielen:
So gab es Freispruch für einen Erfurter Postmitarbeiter, der eine halbjüdische
Nachbarin bei der Polizei meldete, ohne dass aber eine „denunziatorische
Absicht“ nachgewiesenen werden konnte und ohne dass es zu
schlimmen Folgen für die Nachbarin gekommen war. 325
Freigesprochen wurde auch eine Schneiderin, die zwar eine Zeugenaussage,
aber keine Anzeige gegen die politische Äußerung ihrer Kollegin
gemacht hatte. 326
Ein Langensalzaer Landwirt wurde freigesprochen, obwohl Zeugen mehrfach
über Vorfälle von Schlägen gegen Zwangsarbeiter aussagten. „Pro
reo“ sprach, dass die geschlagenen Zwangsarbeiter nach Kriegsende
nichts unternommen hätten, obwohl sie noch einige Zeit dort waren. 327
Bewährung erhielt ein Drogist, der – politisch gesehen – lediglich in
einem NS-Spielmannszug mitwirkte und dem man eine vorgeworfene
Misshandlung von Juden nicht nachweisen konnte. 328
Bewährung erhielten ebenfalls ein parteiloser Nordthüringer Gendarmeriemeister
329, der „sehr streng“ im Umgang mit polnischen Zwangsarbeiter
gewesen war, sowie die Tochter eines Bürgermeisters 330 , die daheim
von einer politischen Äußerung erzählt hatte, welche der Vater anzeigte,
und die anschließend eine entsprechende Zeugenaussage gemacht hatte.
Mit einer Bewährungsstrafe wurde auch gewürdigt, dass ein angeklagter
Lehrer und Rundfunkkommentator nur bis 1934 ns-demagogisch und rassenhetzerisch
gewirkt und sich dann vom NS-System abgewandt hatte. 331
Die Prozesse, die 1948 in der Erfurter Kammer folgten, befassten sich neben
NS-Funktionären und Einzelvorfällen auch häufig mit Denunzianten.
Auch diese Urteilsbegründungen belegen glaubwürdig, dass solide Tatsachenprüfungen
erfolgten. Häufig war auch belegt, dass die Denunzierten
anschließend inhaftiert waren, in anderen Fällen gab es mehrfach Freisprüche.
Wie auch schon bei den Schwurgerichten, die vor dem 201-