Haft und Politische Polizei in Thüringen 1945–52 - Einschluss.de
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manu-vorgeschichte.qxd 09.03.05 16:34 Seite 76<br />
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teilt war o<strong>de</strong>r dass Unschuldige tagelang umsonst e<strong>in</strong>gesperrt waren.<br />
Mitunter – beispielsweise <strong>in</strong> Altenburg <strong>und</strong> Rudolstadt – musste die<br />
<strong>Polizei</strong> auch die U-Häftl<strong>in</strong>ge <strong>de</strong>r Justiz bei sich unterbr<strong>in</strong>gen.<br />
Der eigentliche Straf- <strong>und</strong> Erziehungszweck von Gefängnishaft wur<strong>de</strong><br />
durch diese Alltagsrealitäten natürlich stark verwässert. Die Zustän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren<br />
Grün<strong>de</strong> ausgerechnet im Justizwesen selbst lagen, wur<strong>de</strong>n ja zusätzlich<br />
noch verschlimmert durch die <strong>Polizei</strong>haft (s. S. 97 ff.), wo Gefangene (mit<br />
Wissen <strong>de</strong>r Justiz <strong>und</strong> oft auch für die Justiz) wochenlang we<strong>de</strong>r <strong>Haft</strong>richter<br />
noch Staatsanwalt o<strong>de</strong>r gar Rechtsanwalt zu Gesicht bekamen.<br />
H<strong>in</strong>zu kam, dass Anarchie <strong>und</strong> Willkür <strong>in</strong> Sachen <strong>Haft</strong> für e<strong>in</strong>e Bevölkerung,<br />
die <strong>in</strong> KZ-Vergangenheit <strong>und</strong> Speziallager-Gegenwart lebte, gera<strong>de</strong>zu<br />
fatale „Normalität“ <strong>und</strong> staatliche Unberechenbarkeit gewor<strong>de</strong>n war.<br />
S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Substanz von rechtsstaatlicher <strong>Haft</strong> hätten auch <strong>de</strong>shalb von<br />
e<strong>in</strong>er rechtsstaatlichen Justiz dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>r als je wie<strong>de</strong>rhergestellt wer<strong>de</strong>n<br />
müssen.<br />
Spätestens En<strong>de</strong> 1947 mangelte es an justizeigener <strong>Haft</strong>kapazität. Dies<br />
machte sich im Gerichtsbezirk Erfurt beson<strong>de</strong>rs bemerkbar. Denn das<br />
<strong>Haft</strong>gebäu<strong>de</strong> Andreasstraße wur<strong>de</strong>, wie <strong>de</strong>r Thür<strong>in</strong>ger Generalstaatsanwalt<br />
ans Justizm<strong>in</strong>isterium schrieb, noch immer „von <strong>de</strong>r Besatzungsmacht<br />
<strong>in</strong> Anspruch genommen“. 141<br />
Nur zwei Monate später jedoch – im Februar 1948 – ist „die Anstalt<br />
wie<strong>de</strong>r eröffnet.“ 142 Im Justizgefängnis Andreasstraße, das nun wie<strong>de</strong>r für<br />
das <strong>de</strong>utsche Justizsystem zur Verfügung stand, wur<strong>de</strong>n schnellstens erste<br />
Wie<strong>de</strong>r<strong>in</strong>standsetzungen durchgeführt. Nach kurzer Zeit stan<strong>de</strong>n die 42<br />
E<strong>in</strong>zel- <strong>und</strong> 36 Geme<strong>in</strong>schaftszellen zur Verfügung, die für 212 mögliche<br />
Gefangene e<strong>in</strong>gerichtet waren. (s. S. 260 ff)<br />
Fast zur gleichen Zeit – im März 1948 – beschlossen die Chefs <strong>de</strong>r SMAD<br />
e<strong>in</strong>e umfassen<strong>de</strong> Amnestie für kle<strong>in</strong>ere Straftaten (außer „Wirtschaftsverbrechen“).<br />
143 Von <strong>de</strong>n 1.300 verurteilten Strafgefangenen amnestierten die<br />
Thür<strong>in</strong>ger Gerichte daraufh<strong>in</strong> etwa je<strong>de</strong>n zweiten. Schon im Juni 1948 –<br />
wenige Wochen nach Amnestie – lag die Anzahl <strong>de</strong>r Thür<strong>in</strong>ger Justizhäftl<strong>in</strong>ge<br />
wie<strong>de</strong>r über 2500. Im Jahr 1949 stieg sie dann auf über 3000. 144<br />
1948 aber stan<strong>de</strong>n die Richter <strong>und</strong> Staatsanwälte unter <strong>de</strong>m Druck, die<br />
Prozesse gegen die 201-U-Häftl<strong>in</strong>ge vorrangig abarbeiten zu müssen (s. S.<br />
134 ff.). Diese 201-U-Häftl<strong>in</strong>ge kamen auf die Anklagebank aber nicht<br />
aus <strong>de</strong>n U-<strong>Haft</strong>zellen, son<strong>de</strong>rn aus <strong>Polizei</strong>-<strong>Haft</strong>zellen. Folglich verblieben<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich viele Justiz-U-Häftl<strong>in</strong>ge noch länger <strong>in</strong> Untersuchungshaft,<br />
als es <strong>de</strong>r Gerichtskapazität entsprochen hätte.