Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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Geschehens in der Schweiz besitzen, die zwar über gründliches juristisches Fachwissen<br />
verfügen, sich aber doch hauptsächlich auf ihren „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“<br />
abstützen. Die Referenten versuchen weniger den auf kritische Fragestellungen<br />
eingeschulten nicht-juristischen Sozialwissenschafter als jene politische<br />
Elite zu überzeugen, die schliesslich über das Schicksal der Totalrevision entscheiden<br />
wird. Das vertrauensvolle Abstellen auf den „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“<br />
<strong>und</strong> die als Adressat der Erörterungen vorgestellte politische Elite führte zur Übernahme<br />
von relativ unspezifischen Argumenten, die im schweizerischen politischen<br />
Kontext weitverbreitet sind.<br />
Zu diesen Argumenten gehört die oft wiederholte Behauptung, dass eine bestimmte<br />
Institution oder Institutionenkombination „sich bewährt“ hätte <strong>und</strong> deshalb beibehalten<br />
werden müsse. Einem solchen Argument kann nicht widersprochen werden,<br />
solange nicht präzise Kriterien genannt werden, an denen „Bewährung“ gemessen<br />
werden soll. Das Bewährungs-Argument erscheint jedoch fast durchwegs ohne die<br />
erforderlichen Mess-Kriterien. – Kurt Eichenberger eröffnet sein Referat über „Regierung<br />
<strong>und</strong> Verwaltung“ mit der folgenden feierlichen Erklärung:<br />
„Die allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze des organisatorischen <strong>und</strong> funktionellen Staatsaufbaus<br />
der Eidgenossenschaft haben sich in einer gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>und</strong> allgemeinen<br />
Sicht bewährt. Keine Vernehmlassung wünscht davon abzugehen.“ 46<br />
Als Korrelat zur „Bewährung“ der schweizerischen Institutionen erscheint die „Nicht-<br />
Bewährung“ solcher ausländischer Institutionen, die als mögliche Alternativen in<br />
Betracht fallen könnten. Josy Meier führt aus:<br />
„Deshalb schliesst die Bejahung dieser Volksrechte, des B<strong>und</strong>esstaates <strong>und</strong><br />
unseres Zweikammer-Systems die Einführung eines parlamentarischen Systems<br />
mit wechselnden Regierungsmehrheiten aus. Die Erfahrungen, die das<br />
Ausland mit diesem System macht, lassen eher von dieser Richtung abraten.“ 47<br />
Wenn Louis Guisan findet, dass das schweizerische System des Bikameralismus in<br />
über 120 Jahren seine Bewährungsprobe abgelegt habe <strong>und</strong> deshalb nicht geändert<br />
werden dürfe, so wiederholt er damit ein Argument, das in mehreren Vernehmlassungen<br />
erscheint. 48 Leonhard Neidhart bemerkte zu dieser Argumentationsweise,<br />
dass sie „ein politisches <strong>und</strong> nicht ein aus speziellen Analysen gewonnenes<br />
Urteil“ darstelle. 49<br />
Gewisse Behauptungen, welche die Referenten als feststehende Tatsachen hinstellten,<br />
könnte man bei genauerem Zusehen höchstens als mehr oder weniger<br />
taugliche Hypothesen gelten lassen. Beispielsweise wird als Argument für den<br />
Bikameralismus angeführt, dass zwei Parlamentskammern gegenüber dem Machtpotential<br />
von Regierung <strong>und</strong> Verbänden ein stärkeres Gegengewicht böten als eine<br />
einzige Kammer. 50 Hier ist offenbar die Faustregel impliziert: Je mehr Parlamentskammern,<br />
desto stärker das Parlament. – Die Kommission empfand den oft sehr<br />
erheblichen Einfluss der Interessenverbände bei der Aufstellung von Parlamentskandidaten<br />
nicht als problematisch, sondern stellte in<br />
46 SB S. 497.<br />
47 SB S. 226.<br />
48 SB S. 444. Siehe beispielsweise auch UFR 419.<br />
49 Neidhart, Wahlen-Report (op. cit.), S. 44.<br />
50 SB S. 445.