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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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tung zu seinem Buch über Representative Government distanzierte sich John Stuart<br />

Mill (1806-1873) von der mechanistischen Vorstellung jener, die „unter Berücksichtigung<br />

des Grössenunterschiedes in gleicher Weise eine Verfassung betrachten<br />

wie einen Dampfpflug oder eine Dreschmaschine“. Er wandte sich aber auch gegen<br />

jene, die Staatsformen als „a sort of spontaneous product“ erachteten, das aus<br />

Gewohnheiten, Instinkten <strong>und</strong> unbewussten Wünschen, nicht aber aus überlegten<br />

Zielsetzungen hervorgehe. Der Gr<strong>und</strong>tenor seiner Anschauungen betonte die<br />

Machbarkeit repräsentativer Staatsform <strong>und</strong> zeigte sich optimistisch gegenüber<br />

dem „constitutional engineering“. Sofern ein Land eine gewisse minimale Stufe von<br />

Zivilisiertheit erlangt habe, so könne durch geeignete Vorkehrungen eine lebensfähige<br />

repräsentative Demokratie eingerichtet werden. 2 – Nach der Darstellung von<br />

Harry Eckstein verblasste im angelsächsischen Bereich dieser Optimismus des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts stufenweise von James Bryce (Modern Democracies – 1921) zu Harold<br />

Laski (A Grammar of Politics – 1938), um bei Arnold J. Zurcher einen Tiefststand<br />

von Desillusioniertheit zu erreichen (Einleitung zum Sammelband über<br />

Constitutions and Constitutional Trends Since World War ll – 1951). 3 Obwohl der<br />

Glaube an die Bedeutung von Verfassungseinrichtungen für die Gestaltung des<br />

politischen Lebens, besonders für die Sicherstellung von Demokratie eine Abschwächung<br />

erfuhr, so blieb doch das Interesse der vergleichenden Politikwissenschaft<br />

an formalen Einrichtungen des Staates vorerst noch erhalten. Repräsentativ<br />

für die dreissiger <strong>und</strong> vierziger Jahre dürfte die Einschätzung sein, die Carl J. Friedrich<br />

über die politische Bedeutung von Verfassungsrecht abgab. Darnach werden<br />

Verfassungen nur dann zu Determinanten des politischen Systems, wenn sie die<br />

wirklichen Kräfte in der Gesellschaft widerspiegeln; die „reale“ Verfassung gibt der<br />

„formalen“ Verfassung Kraft <strong>und</strong> gestattet dieser, ihrerseits das politische Leben zu<br />

gestalten. 4<br />

Gründe für die Skepsis über die Möglichkeiten von Verfassungstechnologie bot die<br />

Entwicklung seit 1918 genügend. War die Weimarer Verfassung nicht von den<br />

besten Köpfen konstruiert worden, nur um in das Hitler-Regime auszumünden Der<br />

Demokratie in Italien war zuvor schon ein ähnliches Schicksal beschieden. Wichtige<br />

Bestimmungen der italienischen Verfassung von 1948 blieben lange Zeit „nichtaktualisiert“.<br />

Der Verfassungsgerichtshof nahm seine Tätigkeit nicht vor 1956 auf; erst<br />

in allerjüngster Zeit geht man daran, die Verfassungsbestimmungen über die Regionalisierung<br />

zu verwirklichen, wobei die Erfolgschancen ungewiss sind. 5 – Die<br />

Remeduren der Vierten Republik in Frankreich hätten unter anderem der Regierung<br />

grössere Stabilität bringen<br />

2 Harry Eckstein, „Constitutional Engineering and the Problem of Viable Representative Government“, in:<br />

Harry Eckstein/ David E. Apter (Hrsg.), Comparative Politics – A Reader, The Free Press, New York<br />

1963, S. 100.<br />

3 Eckstein, op, cit., S. 101.<br />

4 In dem Kapitel „Die Verfassung als politische Macht“ zitiert C. J. Friedrich bezeichnenderweise Jean-<br />

Jacques Rousseau, nach welchem das wichtigste aller Gesetze „nicht auf Tafeln von Marmor oder Erz,<br />

sondern in die Herzen der Bürger eingegraben ist“ (C. J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit,<br />

Berlin 1953, S. 177).<br />

5 Italienische Verfassung Art. 114–133. – Dame Germino/ Stefano Passigli, The Governmentand Politics<br />

of Contemporary ltaly, Harper & Row, New York 1968, S. 75 f. – Theodor Wieser, „Dezentralisierung<br />

des italienischen Staates“, NZZ Nr. 153, 31. 3. 1972, S. 3; derselbe, „Fehlschlag der Region Apulien“,<br />

NZZ Nr. 543, 20. 11. 1972, S. 3.

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