Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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Wieso wird dieses Detail einbezogen <strong>und</strong> jenes ausgeschlossen – Einer der wenigen<br />
Autoren, die explizit zum Abgrenzungsproblem Stellung nahmen, ist Leonhard<br />
Neidhart in seinem Buch Reform des B<strong>und</strong>esstaates. Ausgehend von einer ad hoc<br />
geschaffenen materiellen Definition von „Totalrevision“ gelangt er zur Feststellung,<br />
„dass nur die Behörden- oder die Entscheidungsorganisation des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> nicht<br />
der Kompetenzteil der B<strong>und</strong>esverfassung (gemeint ist die Kompetenzabgrenzung<br />
zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kantonen) Gegenstand einer sogenannten Totalrevision sein<br />
kann.“ 3 (Leider hält sich Neidhart selbst nicht vollumfänglich an dieses Rezept,<br />
indem er beispielsweise postuliert: „Die B<strong>und</strong>esverfassung unterbindet alle obligatorischen<br />
Gesetzes- <strong>und</strong> Finanzreferenden in Kantonen <strong>und</strong> Gemeinden.“ 4 – Die<br />
Organisationshoheit ist der letzte halbwegs intakte Bereich kantonaler Autonomie;<br />
ausgerechnet hier verlangt Neidhart eine einschneidende B<strong>und</strong>esintervention.) –<br />
Neidharts Vorschlag, so problematisch er in seiner Begründung sein mag, stellt<br />
immerhin ein Konzept vor, mit dem man eine Verfassungsdebatte auf jene Dimension<br />
reduzieren kann, die den zuständigen Instanzen die Themabewältigung noch<br />
erlaubt.<br />
Die Wahlen-Kommission hat darauf verzichtet, verschiedene Abgrenzungsmaximen<br />
im Vernehmlassungsverfahren ausdrücklich zur Diskussion zu stellen. Dafür hat sie<br />
ein Abgrenzungskriterium gewählt, das auf den ersten Blick als selbstverständlich,<br />
ja geradezu als „natürlich“ erscheint: Die geltende B<strong>und</strong>esverfassung. Der Fragenkatalog<br />
berührt im grossen <strong>und</strong> ganzen jene Themen, die Gegenstand expliziter<br />
oder impliziter Reglementierung in der geltenden Verfassung sind: Menschenrechte,<br />
politische Rechte, Bürgerrechte, Landesverteidigung, Wirtschaftsverfassung,<br />
B<strong>und</strong>esfinanzen, Abgrenzung der Kompetenzen zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kantonen,<br />
Organisation <strong>und</strong> Kompetenzen von Legislative, Exekutive <strong>und</strong> Justiz, Aussenbeziehungen,<br />
Revisionsregeln. Nur in vereinzelten Fällen (z. B. Aussenbeziehungen)<br />
geht der Fragenkatalog über das hinaus, was gemäss Wortlaut oder staatsrechtlicher<br />
Lehre Normierungsbereich der geltenden Verfassung ist. Anderseits ist der<br />
Fragenkatalog in dem Sinne „vollständig“, als er alle wesentlichen Normierungsbereiche<br />
der geltenden Verfassung bestreicht.<br />
Mit dem Entscheid, die geltende Verfassung zum Abgrenzungskriterium zu erheben,<br />
kombinierte die Wahlen-Kommission die innovationshemmende Methode<br />
der Diskussionsüberlastung mit jener der Ausklammerung kritischer Themen.<br />
Die Überlastung der Diskussion<br />
Kritiker beanstanden, dass die geltende Verfassung teilweise übermässig detailliert<br />
sei <strong>und</strong> Normen enthalte, die eher auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe gehörten.<br />
Die Staatsrechtler sprechen von „bloss formellem Verfassungsrecht“, das in das<br />
Gr<strong>und</strong>gesetz hineingeraten sei. Von den verschiedenen Mechanismen, die zur<br />
Aufblähung des Verfassungstextes führten, seien die wichtigsten erwähnt: die<br />
Kompetenzvermutung zugunsten der Kantone, die für jede neue B<strong>und</strong>eskompetenz<br />
eine Verfassungsrevision verlangt; die Leichtigkeit, mit der Partialrevisionen durchgeführt<br />
werden können; die Institution der Verfassungs-<br />
3 Neidhart, op. cit, S. 10.<br />
4 Neidhart, op. cit., S. 127.