Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
227<br />
In ähnlicher Weise äusserte sich der Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es,<br />
Waldemar Jucker. Auch für ihn ist die Schwäche der Parteien Anlass<br />
zu Besorgnis; die Wirtschaftsverbände würden oft in Rollen <strong>und</strong> Sachgebiete<br />
hinein gezwungen, die ihnen weder lägen noch besonders vertraut seien. Jucker<br />
fordert die Modernisierung der Parteien. 3<br />
Man braucht in den Stellungnahmen der beiden Verbandspolitiker keineswegs nur<br />
blosse Rhetorik zu sehen. Nach John Kenneth Galbraith müssen die Grossunternehmen<br />
des neuen Industriesystems Planung betreiben, <strong>und</strong> um selbst besser<br />
planen zu können, bedürfen sie eines starken planungsfähigen Staates mit bedeutendem<br />
öffentlichem Wirtschaftssektor. Wichtige Hilfsfunktion, die der Staat der<br />
Wirtschaft zu leisten habe, sei die Regulierung der Gesamtnachfrage. 4 – Interessant<br />
ist in diesem Zusammenhang das „Plädoyer für eine aktive Konjunkturpolitik“,<br />
das Etienne Junod, Präsident des Vororts <strong>und</strong> Generaldirektor der Hoff mann-La<br />
Roche, im März 1972 hielt. Dieser Sprecher sah „in einer starken liberalen <strong>und</strong><br />
Staatseingriffen abholden Tradition“ den Hauptgr<strong>und</strong> für das Versagen schweizerischer<br />
Inflationsbekämpfung. 5<br />
Das bipolare Modell will die staatlichen Steuerungskapazitäten erhöhen <strong>und</strong>’ durch<br />
Demokratisierung der Regierungsbestellung die Legitimität des Systems verbessern.<br />
Die Parteien sucht es durch einen Konzentrations- <strong>und</strong> Fusionsprozess zu<br />
stärken; solche Vorgänge sind im „privaten Sektor“ an der Tagesordnung. Es ist<br />
durchaus denkbar, dass die Spitzenverbände der Wirtschaft für das Zielsystem des<br />
bipolaren Modells ein gewisses Verständnis aufbringen können <strong>und</strong> dass das<br />
schroffe Nein des Vororts zur Staatsreform vom Jahre 1967 einer mehr tolerierenden<br />
Haltung Platz macht; denn die vom letzten Jahrh<strong>und</strong>ert geprägten politischen<br />
Institutionen der Schweiz entsprechen nicht mehr notwendigerweise den gewandelten<br />
Interessen der Grossindustrie. – Allerdings werden von den führenden Verbänden<br />
kaum eigenständige Impulse für die Staatsreform ausgehen. Dass sie auf die<br />
direktdemokratischen Institutionen leichthin verzichten würden, ist nicht wahrscheinlich,<br />
obschon diese Institutionen heute nur noch marginale Bedeutung für ihre<br />
Machtstellung besitzen. Schliesslich trifft die Galbraith’sche Theorie über das Verhältnis<br />
zwischen Staat <strong>und</strong> Wirtschaft im Kleinstaat Schweiz wohl kaum völlig zu.<br />
Für die exportorientierten schweizerischen Grossfirmen ist nicht die Schweiz das<br />
„Bezugs-Staatswesen“, sondern grössere Industriestaaten oder gar supranationale<br />
Organisationen nehmen diesen Rang ein. Diese Firmen können es sich durchaus<br />
leisten, in der Schweiz einen musealen Staat zu konservieren.<br />
b) Der Trend im Ausland<br />
Wer die Realisierungschancen von Reformprojekten in der Schweiz schätzen will,<br />
muss einschlägige Trends im Ausland in Rechnung setzen. Die Kleinstaatlichkeit,<br />
die geographische Lage <strong>und</strong> neuerdings der grenzüberschreitende Ein-<br />
3 Waldemar Jucker, „Zaghafte Modernisierung der Parteien“, Volksrecht, 8.2.1967. Siehe auch: „Müssen<br />
die Verbände regieren“ ,Volksstimme’ 18.2.1967.<br />
4 Galbraith, op. cit., S. 232, 269, 304–324.<br />
5 NZZ, Nr. 130, 17.3.1972, S. 13.