Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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seiner Verwirklichung, dann können wir auch hoffen, dass uns die Anwendung der<br />
Methode des stückweisen Umbaus über die allergrösste Schwierigkeit jeder vernünftigen<br />
politischen Reform hinweghelfen wird, nämlich über die Frage, wie wir<br />
es anstellen sollen, dass bei der Durchführung des Programms die Vernunft <strong>und</strong><br />
nicht Leidenschaft <strong>und</strong> Gewalt zu Worte kommen. Es wird möglich sein, einen<br />
vernünftigen Kompromiss zu erzielen <strong>und</strong> dadurch eine Verbesserung mit Hilfe<br />
demokratischer Methoden zu erreichen.“ 14<br />
Den Gegensatz zur Ad-hoc-Technik bildet für Popper die „Methode des Planens im<br />
grossen Stil“, die „utopische Sozialtechnik“, die „Technik der Ganzheitsplanung“. Er<br />
sieht diese Alternative als notwendig verknüpft mit Diktatur <strong>und</strong> Totalitarismus. 15 –<br />
In den USA wird die Stückwerktechnologie als „piecemeal social engineering“ <strong>und</strong><br />
als „strategy of disjointed incrementalism“ bezeichnet. Wie Popper bringt beispielsweise<br />
Lindblom die Stückwerktechnologie in Zusammenhang mit Wissenschaftlichkeit<br />
(The Science of „Muddling Through“) <strong>und</strong> mit Demokratie (lntelligence of Democracy).<br />
16<br />
Mindestens im Rahmen einer Totalrevision der Verfassung kann „Detailpflege“ nicht<br />
unbedingt für sich in Anspruch nehmen, demokratisch zu sein. Es lässt sich, gemessen<br />
an demokratischen Werten, kaum rechtfertigen, wenn vom Volk zu zahlreichen<br />
zusammenhangslosen Einzelfragen ein pauschales Ja oder Nein abverlangt<br />
wird, während getrennte Abstimmungen über die Einzelfragen durchaus möglich<br />
wären. 17 – Im übrigen mag offenbleiben, ob Inkrementalismus tatsächlich stets eine<br />
Reformstrategie darstellt <strong>und</strong> nicht unversehens in eine Strategie zur Status-quo-<br />
Erhaltung umschlägt. Klaus Lompe hat darauf hingewiesen, dass Stückwerktechnologie<br />
dem Status quo dient <strong>und</strong> einem politischen Fatalismus Vorschub leistet,<br />
schliesst sie doch aus, umfassende Probleme in den Griff zu bekemmen. 18 Yehezkel<br />
Dror überschrieb ein Kapitel seines Buches Ventures in Policy Sciences mit<br />
dem Titel: „Muddling through – ‚Science’ or Inertia“ 19<br />
c) Antiinstitutionalismus der Behavioristen<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat der Behaviorismus in der amerikanischen Politikwissenschaft<br />
seinen Aufstieg an, um in den sechziger Jahren beinahe unumschränkt<br />
das Feld zu beherrschen. In Europa, wo „der Kampf noch keineswegs<br />
entschieden ist“, 20 war seine Durchsetzungskraft geringer. – „Be-<br />
14 Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft <strong>und</strong> ihre Feinde, Bd. I, Der Zauber Platons, Bern 1957, S. 216.<br />
15 ibidem, S. 217 ff.<br />
16 Siehe: David Braybrook/Charles E. Lindblom, A Strategy of Decision, Policy Evaluation as a Social<br />
Process, Free Press, Glencoe 1963; Lindblom, „The Science of ‘Muddling Through’”, Public Administration<br />
Review, No. 19, Spring 1959, S. 79–88; derselbe, lntelligence of Democracy, Free Press, New<br />
York 1965.<br />
17 Siehe Eingabe der Universität Neuenburg an die Wahlen-Kommission UNE 115f. Vgl. auch oben,<br />
erster Teil, S. 23.<br />
18 Klaus Lompe, Wissenschaftliche Beratung der Politik. Ein Beitrag zur Theorie anwendender Sozialwissenschaften,<br />
Göttingen, 2. Auflage, 1972, S. 66 ff.; siehe auch: Klaus von Beyme, Die politischen<br />
Theorien der Gegenwart. Eine Einführung, München 1972, S. 51.<br />
19 Yehezkel Dror, Ventures in Policy Sciences. Concepts and Applications, Elsevier, New York 1971, S.<br />
257–263.<br />
20 Von Beyme, op. cit., S. 104.