Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
117<br />
Mühelos vermögen wir in den Handlungsabläufen des Wahlen-Unternehmens die<br />
beiden von Edelman skizzierten Gr<strong>und</strong>muster wiederzuerkennen. Auf der einen<br />
Seite verfolgt der wohlorganisierte Vorort ein eindeutig operationalisiertes Ziel,<br />
nämlich die Beibehaltung des Status quo in den staatlichen Institutionen, die ihm in<br />
ihrer bisherigen Ausgestaltung optimale Einflussmöglichkeiten gewähren; er operiert<br />
aus strategisch günstiger Position <strong>und</strong> ist davon überzeugt, dass „ohne Mitwirken<br />
<strong>und</strong> Sachwissen der Verbände viele staatlichen Aufgaben faktisch nicht lösbar<br />
erscheinen“, 16 ausgezeichnete Kommunikationskanäle verbinden ihn mit den<br />
Hauptakteuren des Unternehmens. Sein Erfolg ist frappant: Er vermag sein Veto im<br />
konfusen Anfangsstadium des Unternehmens in aller Form anzubringen <strong>und</strong> seinen<br />
Anspruch auf „angemessene“ Vertretung in der „grossen“ Verfassungskommission<br />
abzusichern. – Auf der andern Seite steht eine sehr grosseZahl unorganisierter<br />
Bürger, die an einem vagen Unbehagen über die politischen Zustände in der<br />
Schweiz leiden <strong>und</strong> ihren Unmut offenbar nur durch Abstinenz bei Wahlen <strong>und</strong><br />
Abstimmungen oder durch Unterstützung von Protestbewegungen vom Typ der<br />
Überfremdungsinitiativen 17 zu artikulieren vermögen. Die Informiertheit über politische<br />
Zusammenhänge ist gering, <strong>und</strong> Ziele sind völlig unklar. Auf dieses Publikum<br />
dürften die Symbole „Arbeitsgruppe der zehn Weisen für die Totalrevision der B<strong>und</strong>esverfassung“,<br />
„eidgenössische Auslegeordnung“ <strong>und</strong> „grossangelegte Umfrage<br />
bei den Kantonen, Parteien <strong>und</strong> Universitäten“ beschwichtigend wirken <strong>und</strong> eindrücklich<br />
die Botschaft verkünden, dass die fähigsten Köpfe des Landes „das Problem<br />
studieren“. Gleichzeitig ist die gänzliche Erfolglosigkeit dieser „Unmuts-Gruppe“<br />
hinsichtlich greifbarer Resultate offenk<strong>und</strong>ig; die Wahlen-Kommission funktionierte<br />
in einer Weise, die das Risiko politischen Wandels optimal herabsetzte.<br />
Das bisherige Wahlen-Unternehmen schuf klare Sieger <strong>und</strong> klare Verlierer; nur den<br />
in herkömmlichen Klischees denkenden Beobachter vermag es zu überraschen,<br />
dass jede Spur eines „eidgenössischen Kompromisses“ fehlt. Im Lichte Edelmanscher<br />
Theorie enthält das Unternehmen jedoch keinerlei Überraschungselement.<br />
Die Kommission übte schliesslich bloss iustitia distributiva, gab im Gr<strong>und</strong>e nur „jedem<br />
das Seine“: Der Vorort, da wohlorganisiert, erhielt den neu gefestigten Status<br />
quo, <strong>und</strong> das an der „helvetischen Malaise“ leidende Publikum, da unorganisiert,<br />
bekam sein Reformritual.<br />
16 Siehe oben Seite 73.<br />
17 Nach heftigem Abstimmungskampf verwarf das Schweizervolk am 7. Juni 1970 die sogenannte Überfremdungsinitiative,<br />
deren wichtigster Promotor James Schwarzenbach war. Die Initiative verlangte eine<br />
massive Reduktion der Ausländerquote auf zehn Prozent der schweizerischen Wohnbevölkerung.<br />
Die Stimmbeteiligung erreichte die Rekordhöhe von 74,0 Prozent. 46 Prozent der Stimmen sprachen<br />
sich für die Initiative aus, obwohl die „offizielle Schweiz“, d. h. die politischen Parteien, die Behörden<br />
<strong>und</strong> die Exponenten der Privatwirtschaft mit gewaltigem Aufwand gegen die Initiative gekämpft hatten.<br />
– Am 20. 10. 1974 gelangte eine weitere „Überfremdungsinitiative“ zur Abstimmung.