Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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(4) Es ist nicht zu erwarten, dass das bipolare Modell die Einflussmöglichkeiten der<br />
organisierten Interessen radikal einzuschränken vermag. Zwar ist den Verbänden<br />
die Referendumsdrohung als Pressionsinstrument genommen, doch wäre es verfehlt,<br />
das Referendum als die wichtigste Gr<strong>und</strong>lage von Verbandsmacht in der<br />
Schweiz anzusehen. Den Interessenorganisationen stehen auch ohne Referendum<br />
genügend Ressourcen zur Verfügung, um sich Gehör zu verschaffen <strong>und</strong> ihren<br />
Standpunkten günstige Durchsetzungschancen zu verleihen. – Das Modell dürfte<br />
es den Verbänden jedoch erschweren, unter faktischer Umgehung der politisch<br />
verantwortlichen Entscheidungsträger ihre Konzeptionen durchzusetzen oder die<br />
unter sich ausgehandelten Kompromissformeln den formellen politischen Instanzen<br />
als „Sachzwänge“ aufzuerlegen. Die Verhandlungsposition von Parlament <strong>und</strong><br />
Regierung gegenüber den Verbänden würde verbessert, ihre Stellung als Schiedsrichter<br />
im Konflikt divergierender Interessen gestärkt.<br />
Das Modell hat die Chance, Verbandsmacht in Schranken zu halten, indem es den<br />
Interessengruppen starke, zentralisierte Parteien als „countervailing powers“ entgegensetzt.<br />
Das Regierungssystem soll dadurch grössere Autonomie gegenüber dem<br />
allgemeinen sozio-ökonomischen System erhalten. Die Erwartung ist berechtigt,<br />
dass über Parteiensystem, Parlament <strong>und</strong> Regierung vermehrt auch nichtorganisierte<br />
Interessen artikuliert <strong>und</strong> schliesslich durchgesetzt werden. – Wir gehen hier<br />
von der Vorstellung aus, dass das „Gemeinwohl“ nicht einfach darin bestehen darf,<br />
die organisierten Interessen zu befriedigen, sondern dass es wesentliche Interessen<br />
gibt, die nicht organisiert sind <strong>und</strong> sich schwerlich organisieren lassen. Mit<br />
andern Worten, wir erwarten von der vorgeschlagenen Reform ein höheres Wertberücksichtigungspotential<br />
des politischen Systems. Nicht nur organisierte Interessen<br />
– <strong>und</strong> unter ihnen im besondern die status-quo-orientierten – sollen eine vernünftige<br />
Durchsetzungschance besitzen.<br />
(5) Das vorgeschlagene Verfassungsmodell bildet eine gute Gr<strong>und</strong>lage, auf welcher<br />
mit einer inkrementalistischen Reformstrategie besonders im Hinblick auf eine Verbesserung<br />
der Demokratiequalität weitergearbeitet werden kann. Auf dem Gesetzeswege<br />
können Standards aufgestellt werden, welche Oligarchietendenzen innerhalb<br />
der Parteien entgegenwirken <strong>und</strong> ein grosszügiges Mass an parteiinterner<br />
Demokratie sicherstellen. Bürger sollen die Möglichkeit haben, nach Neigung <strong>und</strong><br />
Fähigkeit sich sinnvoll an den Meinungsbildungsprozessen innerhalb der Partei<br />
ihrer Wahl zu beteiligen. – Die Autonomie der Parteien kann gefördert werden<br />
durch die Offenlegung ihrer Finanzen, durch die Plafonierung ihrer Wahlkampfausgaben<br />
<strong>und</strong> vor allem durch staatliche Finanzierung. – Um den Wählern einen möglichst<br />
rationalen Wahlentscheid zu ermöglichen, können die Parteien dazu verhalten<br />
werden, ihre Ziele soweit irgendwie möglich in operationalisierter Form darzulegen<br />
<strong>und</strong> sie mit Angaben über die erforderlichen Mittel zu versehen. 36<br />
36 Über das Verhältnis zwischen parteiinterner Demokratie <strong>und</strong> Parteiprogrammen, die einen rationalen<br />
Wählerentscheid ermöglichen, siehe Flohr, op. cit., S. 132 ff.