Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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abzusichern, so ist die magische Schwelle überschritten <strong>und</strong> die „Selbsttätigkeit“ in<br />
Gefahr. – Beizufügen ist, dass ein aufgewertetes Kanzleramt im schweizerischen<br />
Kontext unverzüglich unter Proportionalisierungsdruck gerät. Dem aufgewerteten<br />
CVP-Kanzler wurden bezeichnenderweise ein freisinniger <strong>und</strong> ein sozialdemokratischer<br />
Vizekanzler zugeordnet. Der Proporzlogik entspräche es, wenn der Status<br />
der Vizekanzler mit der Zeit jenem des Kanzlers angeglichen würde. Es besteht<br />
also die Aussicht, dass man de facto bei einer zehnköpfiger, Regierungsmannschaft<br />
anlangt, die gemäss der Schwellentheorie ohne Hierarchisierung nicht mehr<br />
handlungsfähig ist.<br />
(4) Die Experten der Huber-Kommission bemühten sich, „zeitgemässes <strong>und</strong> illusionsloses<br />
Recht“ zu schaffen. 11 Dies ist wahrscheinlich nicht gelungen. Die Experten<br />
glaubten nämlich, dass durch diverse Entlastungsmassnahmen (Stäbe, Zusammenfassung<br />
einzelner Ämter in Gruppen, verbesserte Delegationsordnung, Equilibrierung<br />
der Departemente) sowie durch eine förmliche Ermahnung im Gesetz die<br />
B<strong>und</strong>esräte dazu verhalten werden könnten, „den Kollegiumsgeschäften den Vorrang<br />
einzuräumen“ <strong>und</strong> sich erst in zweiter Linie der Departementsleitung zu widmen.<br />
12 Übersehen wurde dabei, dass auf den B<strong>und</strong>esräten ein starker „Departementalisierungsdruck“<br />
lastet. Öffentlichkeit <strong>und</strong> Parlament kritisieren oder loben<br />
einen B<strong>und</strong>esrat nicht wegen seiner Kollegiumstätigkeit, sondern wegen seiner<br />
Leistungen als Departementschef. Das „zersplitternde Departementaldenken“, das<br />
der Hongler-Bericht rügt, 13 ist nicht eine korrigierbare Fehlleistung von Regierungsmitgliedern,<br />
sondern ein Aspekt des politischen Gesamtsystems. Solange das Regierungskollegium<br />
nicht kollektiv zur Verantwortung gezogen werden kann, werden<br />
B<strong>und</strong>esräte stets Dringlicheres zu tun haben, als sich vorrangig den Kollegiumsgeschäften<br />
zu widmen.<br />
Ihrer Darstellung zufolge war es die Hoffnung der Huber-Kommission, „dass sich<br />
das ‚W<strong>und</strong>er echter Kollegialregierung’ auch künftig immer wieder einstellt“. 14 Vielleicht<br />
sollte man Staatsreform nicht auf W<strong>und</strong>erglauben abstellen. Am 11. Mai 1974<br />
hielt B<strong>und</strong>eskanzler Huber, der Hauptakteur der Regierungsreform von 1968, eine<br />
Rede, in der er beiläufig folgendes bemerkte:<br />
„Es ist hier nicht der Ort, das Ungenügen des Apparates der Exekutive im einzelnen<br />
darzulegen. Nur drei Dinge seien hervorgehoben: Die Gefahr einer noch<br />
stärkeren Verlagerung der Gewichte vom Kollegial- auf das Departementalsystem<br />
<strong>und</strong> damit das Risiko einer zunehmenden Desintegration, der gefährliche<br />
Trend zum blossen Reagieren zum Nachteil des Regierens sowie das Vernachlässigen<br />
der interdisziplinären Zusammenhänge. 14a “<br />
Das erklärte Ziel der Kanzleraufwertung war es nun gerade, den B<strong>und</strong>esrat zu<br />
einem handlungsfähigen Führungsteam zu integrieren <strong>und</strong> die Schwergewichte von<br />
der Departementsleitung ins Regierungskollegium zu verlegen. Dieses Ziel<br />
11 Huber-Bericht, S. 7.<br />
12 Artikel 27 des Entwurfs für ein neues Verwaltungsorganisationsgesetz, Huber-Bericht, gelbe Beilage,<br />
S. 6.<br />
13 Hongler-Bericht, S. 90.<br />
14 Huber-Bericht, S. 108.<br />
14a Karl Huber, Ist unser Staat überfordert, Vortrag vor dem Schweiz. Aufklärungs-Dienst in Dübendorf,<br />
11.5.1974, hektographiert, S. 14.