Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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(„Zauberformel“ 2 : 2 : 2 : 1). Nur einzelne Kleinparteien sind in der Regierung nicht<br />
vertreten. – Diese Bestellungsart der Regierung verunmöglicht es, dass Gesamterneuerungswahlen<br />
des Parlaments einen irgendwie signifikanten Einfluss auf die<br />
Zusammensetzung der Regierung haben können.<br />
Die vorherrschende Ideologie in der Schweiz erachtet die beinahe perfekte Abschirmung<br />
der Regierung vom Wählerwillen unter Verweis auf Referendum <strong>und</strong><br />
Initiative als tragbar: Der Bürger kann durch die grosszügig gehandhabte Verfassungsinitiative<br />
seine Präferenzen bekanntmachen; im obligatorischen Verfassungsreferendum<br />
<strong>und</strong> im fakultativen Gesetzesreferendum wird er eingeladen,<br />
zu Sachfragen direkt Stellung zu nehmen. Er ist für die Unmöglichkeit, auf die personelle<br />
Zusammensetzung der Regierung Einfluss zu nehmen, durch die direktdemokratischen<br />
Einrichtungen reichlich kompensiert. Da die Behörden ja ohnehin nur<br />
den „empirischen Volkswillen“ vollziehen, sind Personalfragen von untergeordneter<br />
Bedeutung.<br />
Der Verfasser sieht die Krise der schweizerischen Demokratie darin, dass die eben<br />
beschriebene Ideologie an Überzeugungskraft verloren hat. Der Glaube, dass dem<br />
Bürger auf B<strong>und</strong>esebene sinnvolle Instrumente der Partizipation offenstehen, ist<br />
erschüttert. Max Imboden bemerkt zum „schwindenden Gewicht der einzelnen<br />
(Abstimmungs-)Vorlagen“:<br />
„Die Volksbefragungen verlieren an relativer Bedeutung. Vieles, was dem Bürger<br />
wesentlich ist, unterliegt überhaupt nicht oder erst in einem zu späten Verfahrensstadium<br />
– dann, wenn ein freies Entscheiden bereits fragwürdig wurde –<br />
der Volksabstimmung. Umgekehrt wird mancher Entscheid an die Urne verwiesen,<br />
der keine den Bürger wesentlich berührende Frage zum Gegenstand hat.<br />
So beinhalten die Volksrechte gleichzeitig zu wenig <strong>und</strong> zu viel.“ 6<br />
Die These von der „Entwertung der Volksrechte“ wird plausibel gemacht, indem wir<br />
auf die Mechanismen eingehen, welche diese Entwertung befördern.<br />
(1) Die formellen direktdemokratischen Partizipationsrechte sind sehr ungleichmässig<br />
auf die einzelnen Stufen des Staatswesens verteilt. Auf Gemeinde- <strong>und</strong><br />
Kantonsebene sind sie bedeutend besser ausgebaut als auf B<strong>und</strong>esebene. Nun ist<br />
es gänzlich unbestritten, „dass die wichtigsten staatlichen Kompetenzen sich mehr<br />
<strong>und</strong> mehr beim B<strong>und</strong> konzentrieren, während die Kantone <strong>und</strong> Gemeinden zunehmend<br />
in die Rolle von Ausführungsorganen gedrängt wurden“. 7 Die direktdemokratischen<br />
Partizipationsrechte zielen auf die Kontrolle von Gesetzgebung ab; sie sind<br />
aber gerade dort konzentriert (bei Gemeinden <strong>und</strong> Kantonen), wo die Rechtssetzung<br />
stark an Bedeutung verloren hat. Mehr noch: nach einer These von Dietrich<br />
Schindler befördert die Konzentration direktdemokratischer Partizipationsrechte auf<br />
Gemeinde- <strong>und</strong> Kantonsebene den zentralistischen Trend; die Entscheidungszentren<br />
verlagern sich dorthin, wo sie weniger von der „schwerfälligen“ direkten Demokratie<br />
behelligt werden. 8<br />
(2) Auch auf B<strong>und</strong>esebene hat das formelle Gesetz, auf das sich das fakultative<br />
Referendum ja bezieht, einen Strukturwandel durchgemacht. Häufung von<br />
6 Imboden, Malaise (op. cit.), S. 20.<br />
7 Dietrich Schindler, „Ausbau oder Abbau der Demokratie „, in: Die Schweiz- Nationales Jahrbuch der<br />
NHG 1967, Bern 1967, S. 117.<br />
8 Schindler, op. cit., S. 122.