Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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ins Parlament zu bringen. Alle grösseren Parteien sind finanziell in erheblichem<br />
Ausmass von den ihnen nahestehenden Verbänden abhängig.<br />
Der Zustand des Parteiensystems spiegelt sich wieder im Parlament. Dessen<br />
Nichtprofessionalisierung nimmt ihm praktisch jede Chance auf „Autonomie“; es<br />
kann beinahe beliebig mit Partikularinteressen durchsetzt werden. Erich Gruner<br />
untersuchte die berufliche Zusammensetzung des Parlaments <strong>und</strong> fand, dass der<br />
Anteil der vollamtlichen Verbandsfunktionäre im Nationalrat von 4,2 % im Jahre<br />
1917 auf 12 % im Jahre 1967 anwuchs. Neben den vollamtlichen Regierungs- <strong>und</strong><br />
Gemeinderäten (20 %) sind die vollamtlichen Verbandsfunktionäre zur stärksten<br />
Berufsgruppe im Nationalrat geworden. Die blosse Berufsanalyse ergibt jedoch<br />
noch kein vollständiges Bild über den Einfluss von Partikularinteressen. Gruner<br />
bezifferte die Zahl der „Interessenvertreter“ (Parlamentarier, die in der Leitung eines<br />
oder mehrerer Verbände tätig sind) im Nationalrat 1967-71 auf 120 (von 200). 16<br />
Gemäss Angaben der Weltwoche sind im Nationalrat 1971-75 von den 200 Volksvertretern<br />
deren 90 Inhaber von Verwaltungsratsmandaten in total 372 Gesellschaften.<br />
Von den 44 Ständeräten sind deren 31 Inhaber von Verwaltungsratsmandaten<br />
in gesamthaft 271 Gesellschaften. 17 – Nach Neidhart bewirkte die Institution des<br />
Referendums die Bildung von zwei Repräsentationsebenen: die parlamentarische<br />
<strong>und</strong> jene, welche durch die vorparlamentarischen Bargaining-Prozesse gebildet<br />
wird. Dieser Autor interpretiert diesen Zustand als zusätzliche Form der Gewaltenteilung.<br />
18 – Von der ersten Repräsentationsebene kann man jedoch sagen, dass sie<br />
keine Eigenständigkeit, <strong>und</strong> von der zweiten, dass sie keine demokratische Legitimierung<br />
besitzt.<br />
٭<br />
Das Institutionensystem der Schweiz hat vieles gemeinsam mit jenem der USA.<br />
Auch dort sind zahlreiche Vetopositionen <strong>und</strong> Blockierungsmechanismen eingebaut,<br />
auch dort ist der plutokratische Einfluss beträchtlich. Samuel Huntington verglich<br />
die USA mit den grossen westeuropäischen Demokratien <strong>und</strong> qualifizierte das<br />
amerikanische Institutionengefüge als „seltsamen Anachronismus“, als „Tudor-<br />
Gemeinwesen“. 19 Um den Unterschied zwischen den USA <strong>und</strong> Grossbritannien<br />
herauszustellen, gebraucht er unter anderem die Worte von Walter Bagehot:<br />
„The English constitution, in a word, is framed on the principle of choosing a<br />
single sovereign authority, and making it good; the American, upon the principle<br />
of having many sovereign authorities, and hoping that their multitude may atone<br />
for their inferiority.“ 20<br />
16 Gruner, Parteien (op. cit.), S. 169 ff.<br />
17 Paul Klügl, „Taggelder plus Tantièmen“, Die Weltwoche, 14.2.1973, Nr. 7, S. 5.<br />
18 Neidhart, Reform (op. cit.), S. 55, 62; derselbe, Plebiszit (op. cit.), S. 314 (zur Gewaltenteilungsinterpretation:<br />
S. 20).<br />
19 Huntington, op. cit., S. 98, 122 ff.<br />
20 Walter Bagehot, The English Constitution, Oxford-World’s Classics, London 1949, S. 202, zitiert bei<br />
Huntington, op. cit., S. 111.