Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac
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Wenn das Instituionengefüge der USA „anachronistisch“ ist, so muss diese Qualifikation<br />
in erhöhtem Masse für das schweizerische zutreffen. Denn die Blockierungsmechanismen<br />
sind hier ins Masslose gehäuft. In den USA vermochte die<br />
Präsidentschaft seit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende immerhin soviel Macht auf sich zu vereinigen,<br />
dass sie schliesslich als innovative Kraft in Erscheinung treten konnte.<br />
Auch der Supreme Court eignete sich in den letzten Jahrzehnten beträchtliche<br />
<strong>Innovation</strong>skapazitäten an. – Das schweizerische B<strong>und</strong>esgericht dagegen ist als<br />
Zentrum politischer <strong>Innovation</strong> kaum in Erscheinung getreten. Etwa das Frauenstimmrecht<br />
einzuführen, stand ausserhalb der Macht schweizerischer Richter. Der<br />
Referendumsdemokratie gelang dieser Schritt erst – im Jahre 1971.<br />
Der schweizerische Staat ist ein überbremstes System, ein System „with checks<br />
and no balances“. Stellt man den staatlichen Sektor dem privaten gegenüber, so<br />
wird das Fehlen von Gleichgewicht besonders augenfällig. Praktisch unbehindert<br />
von Hemmungsmechanismen kann sich im privaten Bereich durch Fusionen <strong>und</strong><br />
Kartellisierung ein Prozess von noch nie gesehener Machtkonzentration durchsetzen,<br />
während im staatlichen Bereich eine Häufung von wirksamen Blockierungsvorkehrungen<br />
Paralyse bewirken darf.<br />
b Ein informationstheoretisch-kybernetischer Ansatz<br />
Seinem Buch The Nerves of Government stellt Karl W. Deutsch eine Diskussion der<br />
wichtigsten Modelle voran, mit denen im Verlauf der Jahrh<strong>und</strong>erte Philosophie <strong>und</strong><br />
Sozialwissenschaften komplexe Gemeinwesen zu verstehen suchten. Unter den<br />
„klassischen Modellen“ nehmen dabei das mechanistische (oder Maschinen-) Modell<br />
<strong>und</strong> das Organismusmodell einen hervorragenden Platz ein. – Das kybernetische<br />
Modell, das Deutsch als besonders angemessen für die Analyse moderner<br />
komplexer Sozialsysteme vorstellt, vermochte in der Tat erhebliche Faszination<br />
auszuüben <strong>und</strong> wird gelegentlich als der zukunftsträchtigste Analyseansatz angepriesen.<br />
21 Die Bilder des Uhrwerks oder der sich entfaltenden <strong>und</strong> schliesslich absterbenden<br />
Pflanze vermögen in der Sozialwissenschaft heute weniger anzusprechen<br />
als das Bild der Rakete, die ihr Ziel selbsttätig ansteuert.<br />
Vom Gesichtspunkt der analytischen Wissenschaftstheorie aus gesehen ist der<br />
kybernetische Ansatz dem zuvor angewandten indessen keineswegs überlegen.<br />
Naschold spricht von „gewaltigen Validitäts- <strong>und</strong> Reliabilitätsproblemen einer kybernetischen<br />
Systemanalyse“. Den meisten Operationalisierungsversuchen von<br />
Deutsch wirft er „Scheingenauigkeit“ vor. 22 – In diesem Abschnitt soll nicht versucht<br />
werden, den kybernetischen Ansatz zu verfeinern, seine Tauglichkeit für exakte<br />
empirische Forschung zu verbessern oder auch nur eine generelle Beschreibung<br />
des politischen Systems der Schweiz in den Kategorien der Kybernetik zu wagen.<br />
Vielmehr sollen in eklektizistischer Weise einzelne Konzepte kybernetischer Analyse<br />
herangezogen werden, um ergänzend zu<br />
21 Siehe Naschold, op. cit., Kapitel „Gr<strong>und</strong>lagen einer kybernetischen Steuerungstheorie“, S. 13–29.<br />
22 Naschold, op.cit., S. 162 f.