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Politische Innovation und Verfassungsreform - Badac

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156<br />

Noch deutlicher äusserte sich der B<strong>und</strong>esrat selbst in seinen „Regierungsrichtlinien<br />

1967–1971“ vom 15. Mai 1968:<br />

„Es ist offensichtlich eine Entwicklung im Gang, die zu einer nicht unbedenklichen<br />

Verschiebung in den effektiven Gewichten von B<strong>und</strong>esrat <strong>und</strong><br />

Parlament zugunsten der Organisationen <strong>und</strong> Verbände der Wirtschaft führen<br />

könnte, ja teilweise schon geführt hat. Damit kann auch eine gewisse Gefahr<br />

des Überhandnehmens der Gruppeninteressen gegenüber dem Gemeinwohl<br />

nicht geleugnet werden. Aber auch beim Vollzug der Gesetze durch hiefür besonders<br />

geschaffene Organisationen oder durch den Heranzug von Wirtschaftsverbänden<br />

stellen sich verschiedene Probleme, die der Lösung harren.<br />

Wir denken hier an die Sicherstellung eines wirksamen Aufsichtsrechtes des<br />

B<strong>und</strong>es sowie an die Gefahr der Vermischung privater <strong>und</strong> öffentlicher Interessen<br />

zulasten der letzteren.“ 40<br />

Um die Probleme der ausgereiften Industriegesellschaft bewältigen zu können,<br />

haben die führenden westlichen Industrienationen die Lenkungskapazitäten des<br />

Staates gegenüber der Wirtschaft ausgebaut. Andrew Shonfield konstatiert bei<br />

diesen Ländern „the vastly increased influence of the public authorities on the management<br />

of the economic system“. 41 – In der Schweiz scheint der Trend umgekehrt<br />

zu verlaufen. Es ereignet sich das, was Theodore Lowi „the private expropriation<br />

of public authority“ nennt. 42<br />

(2) lnnovationsschwäche 43<br />

Schon bei der Diskussion über die Entwertung der Volksrechte wurde darauf hingewiesen,<br />

dass das politische System der Schweiz offenbar nur noch zu sehr langsamen<br />

<strong>und</strong> geringfügigen <strong>Innovation</strong>sschritten fähig ist. Die Massnahme auf einen<br />

eingetretenen „stress“ erfolgt meist mit einem erheblichen „time lag“, <strong>und</strong> die time<br />

lags scheinen sich zu vergrössern. Aufgr<strong>und</strong> eigener <strong>und</strong> fremder Fallstudien über<br />

Entscheidungsprozesse in der Schweiz gelangte Jürg Steiner zu folgender Verallgemeinerung:<br />

„Es besteht die Tendenz, dass der formelle Entscheidungsprozess nicht mit einem<br />

zeitlichen Vorsprung (lead), sondern mit einem zeitlichen Rückstand (lag)<br />

auf den eingetretenen ‚stress’ ausgelöst wird.“ 44<br />

Zum time lag kommt meistens hinzu, dass die getroffene Massnahme nur minimale<br />

Neuerung bringt. Entweder ist sie gerade noch geeignet, einen besonders manifesten<br />

oder krassen Missstand zu beheben oder abzuschwächen, oder sie besitzt<br />

überhaupt nur symbolischen Charakter, indem sie der Beschwichtigung virulenter<br />

Gruppen dient. – Übermässig kleine <strong>und</strong> langsame <strong>Innovation</strong>sschritte führen zu<br />

einer Überlastung <strong>und</strong> Komplizierung des politischen Entscheidungssystems. Die<br />

innovationsschwache Lösung einer Sachfrage verschafft nur eine sehr kurze „Ruhepause“,<br />

bis die gleiche Sachfrage wieder nach einer Reform ruft. Vielfach kann<br />

man feststellen, dass in der Schweiz eine Reformphase länger dauert als die „Ruhepause“,<br />

nach welcher in der gleichen Sache<br />

40 Bericht des B<strong>und</strong>esrates an die B<strong>und</strong>esversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in<br />

der Legislaturperiode 1968–1971, 15.5.1968, S. 16.<br />

41 Shonfield, op, cit., S. 66.<br />

42 Lowi, op. cit., S. 102.<br />

43 Siehe hiezu auch oben S. 69 f.<br />

44 Steiner, Gewaltlose Politik (op. cit.), S. 261, Beobachtungssatz 87.

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